05.09.2019 / Wort zum Tag

Vor niemandem auf die Knie fallen

In dem Namen Jesu sollen sich beugen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

Philipper 2,10

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„In dem Namen Jesu sollen sich beugen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Philipper 2,10 – Manches in der Bibel passt nicht mehr in unsere Kultur. Wir beugen heute nicht mehr unsere Knie vor irgendwelchen Königen – bestenfalls eine Verbeugung oder einen Knicks vor der britischen Queen, aber auch das haben sich z. B. der derzeitige US-Präsident und seine Gattin abgewöhnt.

Wir sind heute autonom, regieren uns selbst, bestimmen miteinander im Dialog, was richtig und falsch ist. Kniefall geht da gar nicht mehr! Und der Apostel Paulus, von dem dieser Satz stammt, setzt ja noch einen oben drauf: Die Knie von allen Menschen sollen sich im Namen von Jesus beugen und bekennen, dass Jesus der Herr über diese Welt ist. Ist das nicht in höchstem Maße intolerant? So kann doch der Dialog zwischen den Religionen nicht funktionieren: Eine Religion behauptet, die Wahrheit zu haben, und alle anderen sollen sich unterwerfen. Das hatten wir in der Geschichte jahrhundertelang. Und wozu hat es geführt? - Dass im Namen der Religion schreckliche Kriege geführt wurden. „Und wenn ihr nicht freiwillig unseren Gott anbetet, müssen wir euch notfalls mit Gewalt dazu zu bringen. Unterwerfung unter unsere Herrschaft natürlich inklusive.“ Das wollen wir nicht mehr!!!

Also: Seien Sie vorsichtig, wenn Sie diesen Vers zitieren. Er widerspricht allem, was wir in unserer westlichen Kultur zu glauben gelernt haben.

Allerdings sollten wir zwei Dinge nicht vergessen:

1. Jetzt mal abgesehen von irgendwelcher Gewalt oder irgendwelchem Druck, ausgeübt im Namen der Religion. Woher wissen wir denn so genau, dass es keine Wahrheit gibt, die tatsächlich für alle Menschen gilt? Ist das nicht letztlich genauso eine Glaubensaussage, wie es der Satz ist: „Jesus ist der Herr der ganzen Welt, und zwar für alle!“? – Beweisen lässt sich das eine so wenig wie das andere. Wenn es aber tatsächlich so ist, dass es doch die eine Wahrheit gibt; wenn Paulus recht hat, und Jesus wirklich der rechtmäßige Herrscher der ganzen Welt ist? – Dann wäre es allerdings sehr empfehlenswert, diese Herrschaft anzuerkennen. Übrigens: Die Überzeugung, dass jeder nach seiner Facon selig werden soll, kann genauso tolerant oder intolerant vertreten werden, wie jeder andere Glaube auch. Wenn alle Katzen grau sind, bekommt derjenige ein Problem, der behauptet, eine schwarz-weiße gesehen zu haben …

2. Einzelne Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen, ist ja immer gefährlich. Von wem sagt Paulus denn, dass er Herr über die ganze Welt ist? Lesen Sie mal den Zusammenhang – ab Philipper 2,6. Das ist der berühmte „Christus-Hymnus“ von Paulus. Da besingt Paulus den, der selbst freiwillig alle göttliche Macht aufgegeben hat. Der sich selbst erniedrigt hat – bis zum entehrenden Tod am Galgen. Der sich aus Liebe ganz hingegeben hat, den Menschen gedient hat bis zur absoluten Selbstaufgabe. Und der wird mit diesem Charakter und in diesem Sinn die Welt regieren.

Ja, ich glaube, dass dies die Wahrheit ist, die für die ganze Welt gilt. Aber in dem Moment, wo irgendjemand diese Wahrheit intolerant oder mit Macht durchsetzen will, hat er sie gerade völlig verloren. Diese Wahrheit kann ich nur dienend und liebend weitergeben, oder ich habe selbst von ihr überhaupt nichts begriffen.

Und vor diesem Herrn – und nur vor ihm! – beuge ich gerne meine Knie. Es widerspricht vielleicht unserem kulturellen Instinkt und unserer Überheblichkeit, sich irgendwem unterzuordnen und „die Knie zu beugen“. Aber ich möchte meine Knie vor diesem Gott beugen. Vor seiner Liebe. Seiner Demut. Seiner Hingabe für mich. Und wenn ich das tue, merke ich: Ich muss es vor keiner menschlichen oder irdischen Instanz tun. Vor denen kann ich dann gerade und aufrecht stehen.

Autor/-in: Uwe Bertelmann