28.05.2020 / Kommentar

Verstrickt im Corona-Meinungswirrwarr

Wie Christen Orientierung geben können.

Maskenpflicht, Lock-Down, Kontaktverbot – Corona hat unseren Alltag einschneidend verändert. Aber was bringen die Maßnahmen? Unterschiedliche Meinungen sind im Umlauf und der Ton wird schärfer. Wie sollten Christen umgehen mit dem Meinungswirrwarr mitten in der Krise? Ein Kommentar von Regina König.
 

Gerade fällt die Haustür hinter mir ins Schloss, ich will Brötchen holen – aber hoppla, ich habe die Maske vergessen, also nochmal umkehren. Überhaupt, die Maskenpflicht – wie sinnvoll ist sie eigentlich? Anfang April waren sich Experten uneins, ob Atemmasken bei der Eindämmung der Pandemie tatsächlich helfen. Einen Monat später führten die Bundesländer die Maskenpflicht ein – im öffentlichen Nahverkehr, in Geschäften, zur Notbetreuung in Kitas.

Ja, und überhaupt…

Fragen über Fragen, die zeigen: nach der Corona-Schockstarre haben die Deutschen die Lust am Streitgespräch wieder entdeckt. Und das ist gut so! Denn nur wer hinterfragt, bohrt tiefer und regt andere an, mitzudenken und konstruktive Lösungen zu finden.

Es steht viel auf dem Spiel

Schließlich steht viel auf dem Spiel: Gesundheit, Wohlstand, Freiheit. Und gerade deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, nüchtern und besonnen zu bleiben. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Verschwörungstheorien gedeihen wie im Gewächshaus und immer häufiger werden Wissenschaftler und Politiker beleidigt – nicht nur auf der Straße während der Corona-Proteste, auch persönlich per Mail oder Briefsendung. Das Bundeskriminalamt spricht mittlerweile von Drohbriefserien.

Woher kommt diese Aggressivität? Sind manche Bürger überfordert von der Offenheit, mit der Politiker über ihre eigene Unsicherheit im Umgang mit der Krise sprechen und Entscheidungen revidieren? Sind sie verunsichert, dass Wissenschaftler öffentlich ihren Meinungsstreit austragen und im Laufe der Pandemie zu neuen Erkenntnissen kommen?

Der Ton wird rauer

Der Ton wird rauer in Deutschland – dazu tragen auch Pastoren bei wie Jakob Tscharntke von der evangelischen Freikirche Riedlingen in Baden-Württemberg.

Seine Predigt „Wie gehen wir als Christen mit dem Corona-Wahnsinn um?“ wurde über YouTube mehr als 80.000 mal aufgerufen. Darin bezeichnet er das Handeln der Bundesregierung als „Willkürherrschaft“. „Merkel, Spahn & Co“ seien „Politkasper, hinter denen Eliten sitzen, die wir nicht kennen.“ Die Maskenpflicht sei eine „Machtdemonstration der Herrschenden“ und der Lock-Down eine mutwillige Zerstörung der Lebensgrundlage vieler. Politik und Medien, so Tscharntke, „lügen, … wenn sie das Maul aufmachen.“

Unterschiedliche politische und wissenschaftliche Auffassungen nimmt Tscharntke zum Anlass, jegliches Vertrauen in unsere Institutionen zu zerstören. Er setzt eigene verstiegene Thesen wie die „der unbekannten Eliten“ dem Meinungswirrwarr zu. So entstehen Predigten, die infiziert sind mit Hass und Verleumdung. Das kann unserem Land mehr schaden als das Virus selbst.

Bislang ungekannte Herausforderungen

Fakt ist: Corona stellt unser Land vor neue Herausforderungen, auch Kirchen und christliche Gemeinschaften. Das Hinterfragen mancher Verordnungen hat längst begonnen: ´War es richtig, auf Gottesdienste zu verzichten? Sollen wir tatsächlich in unserer Gemeinde nicht mehr singen? Sollten wir lauter protestieren gegen die Auflagen zu Besuchen in Alten- und Pflegeheimen? Müssen wir uns an Kontaktbeschränkungen halten, wenn Kinder in der Gefahr stehen, in ihren Familien vernachlässigt zu werden?`
 

Fragen über Fragen, die es wert sind, gestellt zu werden. Christen sollten dafür eine Antenne haben und die Bereitschaft, unterschiedliche Meinungen anzuhören – in ihren Gemeinden, in der Nachbarschaft, am Küchentisch, in den sozialen Netzwerken. Dabei sollten sie sich allerdings beweisen als Menschen, die nüchtern und besonnen diskutieren, die den Respekt wahren, Fakten checken und die Wahrheit suchen. Streiten mit Anstand, jetzt ist die Zeit dazu – und vor allem mit Demut. Gerade letzteres in dem Bewusstsein, dass wir es mit einer Lage zu tun haben, die es so noch nicht gegeben hat, und in der jeder Mensch, also auch ich selbst, zu fehlbaren Einschätzungen kommen kann.

Autor/-in: Regina König

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