23.01.2021 / Andächtige Glosse

Verschwörerlinge und Querdenkerlinge

Was wächst da alles auf den Böden der Halbwahrheiten? Eine kleine Pilzkunde.

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Guten Tag, liebe Pilzfreunde! Heute möchte ich Ihnen eine besondere Gattung unserer bekappten kleinen Freunde vorstellen: den Verschwörerling.

Verschwörerlinge kommen weltweit in unterschiedlicher Gestalt vor. In den USA verbreitet ist beispielsweise der Breitbärtige Verschwörerling. Er gruppiert sich gerne um das Orangenköpfchen, das häufig auf Golfplätzen zu finden ist, aber auch an weißen Hauswänden und unter schlechten Bedingungen sogar auf Parkplätzen gedeiht.

Das Orangenköpfchen und der Breitbärtige Verschwörerling sind zum Zweck des gegenseitigen Vorteils eine Symbiose eingegangen. Das Orangenköpfchen erhält von den Verschwörerlingen ausreichend Stärke für das Wachstum seiner Egolamellen. Auf dem Mist, den das Orangenköpfchen in großem Maße produziert, gedeiht wiederum der Breitbärtige Verschwörerling ganz prächtig.

Auch in Deutschland finden wir zahlreiche schillernde Unterarten des Verschwörerlings, darunter den Aluhütigen Querdenkerling, den Gemeinen Impfgegnerling und den Besorgten Bürgerschwamm. Sie bevorzugen Böden, die mit alternativen Fakten angereichert sind (siehe Mist) und scheuen Erd-, Gamma-, Mobilfunk-, W-Lan-, Wasser-, Zahlen- und sonstige Strahlen sowie Bill Gates.

In der Nachbarschaft eingewanderter Pilzarten beginnt insbesondere der Besorgte Bürgerschwamm zum Erhalt der eigenen Population unangenehm zu riechen. Dieser Lockduft zieht zuweilen den Vierschrötigen Glatzschädling sowie den Seitenscheitelpilz an. Diese siedeln sich gerne in der Nähe von Verschwörerlingen an, um dort ihre Sporen zu verbreiten. Ein Befall führt zur Ungenießbarkeit der gesamten Population.

Auf welchen Böden gedeihen Verschwörerlinge?

Wie Sie sehen, leben die meisten Verschwörerlinge in engen Symbiosen, sind aber auch von parasitärem Befall bedroht. In Bezug auf ihren Standpunkt sind sie sehr wählerisch, was sie als vorsichtige Gattung auszeichnet. Beimengungen herkömmlicher Böden verkraften sie oft sehr schlecht. Der Grund, auf dem die meisten anderen Pilze wachsen, ist bei Verschwörerlingen unbeliebt, da sie ihn als durch unbezweifelbare Tatsachen verseucht wahrnehmen.

Konnten Verschwörerlinge zuvor zumeist noch auf normalem Waldboden problemlos gedeihen, ziehen sie sich aus ihren früheren Habitaten zunehmend zurück und bilden isolierte Grüppchen, um sich von schädlichen Einflüssen reinzuhalten. Daher ist es sehr schwierig, diese Pilze wieder auf etabliertem Grund anzusiedeln.

Leider neigen Verschwörerlinge vermehrt zu Stoffwechselproblemen. Durch den Konsum alternativer Fakten und Halbwahrheiten aus nährstoffarmen Böden verlieren sie die Fähigkeit, kompliziertere Informationsmolekülketten zu verdauen. Dadurch fällt es ihnen zunehmend schwer, den Wahrheitsgehalt der Böden, auf denen sie wachsen, zutreffend zu beurteilen.

Die Düngung mit zuverlässigen Fakten erweist sich im fortgeschrittenen Fall der Stoffwechselstörung leider als nicht mehr hilfreich. Die zugesetzten Nährstoffe werden als vergiftet angesehen und abgelehnt.

Wie zuvor beschrieben, handelt es sich bei den Pilzen der Gattung Verschwörerling um sehr vorsichtige Gewächse, die zu Misstrauen neigen. Auffällig sind ihre ausgeprägten Abwehrmechanismen gegen Feinde, die bei Ansiedlung auf nährstoffarmen Böden zum Überreagieren neigen. Pilze anderer Kultivierung meiden daher oft die Gesellschaft von Verschwörerlingen und verhalten sich ihrerseits abwehrend. Doch dies vertieft nur die Gräben zwischen den verschiedenen Böden.

Hoffnung für geschwächte Pilzkulturen

In der Vergangenheit hat es immer wieder Versuche gegeben, geschwächte Pilzkulturen durch die Einführung einer neuen Kultur zu heilen. Hierfür siedelt man auf den minderwertigen Böden eine Gattung Pilz an, die sich nicht nur aus der Erde, sondern auch von Sporen aus der Luft ernährt. Dies macht sie widerstandsfähiger gegen zersetzende Einflüsse durch den Untergrund.

Solche Pilze besitzen die bemerkenswerte Fähigkeit, Sporen aufzufangen und zu verarbeiten, insbesondere Sporen der Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.

Sind die Pilze mit diesen Sporen angereichert und gestärkt, können sie die Nährstoffe daraus über ihre Fäden im Untergrund an geschwächte Pilze weitergeben, um diese wieder aufzubauen. Nicht alle Verschwörerlinge sind bereit, Nährstoffe auf diese Weise anzunehmen, da sie zum Teil anzweifeln, dass es überhaupt eine Quelle für diese Art Sporen gibt.

Wenn auch die Entstehung der Sporen nicht restlos geklärt ist: Ursächlich für ihre Verbreitung war ein Wandernder Nazarener, der sie verschwenderisch verstreut und ganze Kulturen damit geheilt hat.

Auch heute noch lernen viele Pilze auf minderwertigen Böden die erstaunliche Kraft dieser Sporen kennen, überwinden dadurch Ängste und Misstrauen und werden grundlegend verändert. Aus dem ehemals schwer bekömmlichen Verschwörerling etwa wird dank der Taten des Wandernden Nazareners ein schmackhafter Pilz. Wegen desser Fähigkeit, selbst abgestorbene Pilze wieder zu neuem Leben zu erwecken, nennen Fachleute ihn deshalb auch: den Aufersteherling.

Autor/-in: Katrin Faludi

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