22.05.2018 / Wort zum Tag

Stärke oder Schwäche zeigen?

Paulus schreibt: Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.

2. Korinther 12,9

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Stellen Sie sich vor, Sie sind Chef und bekommen eines Tages eine Bewerbung auf den Tisch. Eine Frau bewirbt sich um die Stelle einer Büroassistentin und schreibt: „Ich bin 42 Jahre und meine Gesundheit ist nicht die beste. Meine achtjährige Tochter ist auch oft krank und dann muss ich zu Hause bleiben, denn ich bin geschieden. Manchmal habe ich Mühe, den normalen Tagesablauf zu stemmen. Ich habe schon so viele Male versucht, mir das Rauchen abzugewöhnen, aber ich schaffe es nicht. Überhaupt bin ich schnell überfordert, wenn Dinge von mir verlangt werden, die ich noch nie gemacht habe.“ Ob Sie als Unternehmer überhaupt weiterlesen? Ich denke, Sie reagieren so: Strich durch und „Abgelehnt“ draufgestempelt.

Wenn wir uns empfehlen, dann sind wir doch bemüht, die positiven Seiten herauszukehren. Niemand stellt seine Schattenseiten ins Schaufenster. Wenn jemand seine Nachteile genau benennen kann, dann ist das zwar schon eine wichtige Erkenntnis, aber damit geht man doch nicht in die Öffentlichkeit – oder die Person ist ganz gerissen und will damit etwas erreichen: Aufmerksamkeit, Mitleid, Fürsorge und Unterstützung?

Paulus empfiehlt sich den Christen in Korinth mit den Worten: „Darum will ich mich am allermeisten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“ Klar, auch Paulus hatte seine Einschränkungen im Dienst für die Gemeinden. An anderen Stellen schreibt er davon, dass er krank ist oder zumindest ein unheilbares Leiden hatte. Er lässt in seinen Briefen durchblicken, dass er entschlussunfähig und manchmal gehemmt ist. Aber kokettiert er hier mit seiner Schwachheit? Will er die Kritiker auf der Demutsspur rechts überholen? Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass Paulus hier seine Schwachheit thematisiert, ja er gibt sogar damit an und hält sie für eine lobenswerte Eigenschaft. Wenn wir uns empfehlen, dann wird auf Erfahrung verwiesen, auf Beurteilungen und Zertifikate, auf bisherige Zuhörerzahlen, auf Pressestimmen und Kollektenhöhe. Wie anders Paulus: Er nimmt sich zurück, verdient zeitweise ganz praktisch seinen Lebensunterhalt mit einem Handwerk und stellt seine Hilflosigkeit in den Mittelpunkt. „Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit.“ Also doch so ein gerissener Selbstverleugner, der sein Licht unter den Scheffel stellt, um Anerkennung zu bekommen?

Nein, denn der Satz geht ja weiter: „auf dass die Kraft Christi bei mir wohne“.  Es ist also eine Kraftfrage, die Paulus ein Leben lang buchstabiert hat. Von seiner Herkunft, von seinem Studium und von seiner Erfahrung hat er versucht, die Sache Gottes zu regeln. Dann warf ihn die Kraft Jesu  zu Boden. Aber auch dann als Apostel der Gemeinde ist er immer wieder an seine Grenzen gestoßen. Das steht dahinter, wenn er jetzt an die Korinther schreibt, dass da nur Schwachheit ist. Aber das findet er gut, weil nämlich dadurch Platz wird für den, der die Kraft ist, Jesus Christus selbst.

Diese Erfahrung des Paulus will uns heute helfen, mit unserer Schwachheit und mit den Unzulänglichkeiten zurechtzukommen. Indem ich mich nicht mit meinen Vorzügen empfehle, sondern mich sozusagen leer mache, werde ich durchlässig für Jesus und für das, was er Menschen durch mich sagen will. Wenn ich auf seine Kraft baue,  macht er mich hilfsbereit, damit andere die Liebe Christi durch mich erfahren.

Eine jugendgemäße Übersetzung unseres Textes sagt es so: „Wenn ich schwach bin, kann Jesus zeigen, was er drauf hat.“ Das ist es, was uns fröhlich mit unseren Schwächen leben lässt.

Als Ergänzung dazu ein Lied aus dem Jahr 1857 von Friedrich Adolf Krummacher: Es steht im Evangelischen Gesangbuch Nummer 407. „Stern auf den ich schaue.“  Wenn die Sprache auch aus einem anderen Jahrhundert stammt, der Satz aus dem Refrain sollte hängen bleiben: „Nichts hab ich zu bringen, alles Herr, bist du.“

Autor/-in: Albrecht Kaul