27.03.2020 / Kommentar

Sie bedienen unsere Angst

Warum Fakenews und Verschwörungstheorien so viel Erfolg haben.

Sie bedienen unsere Ängste und liefern uns Erklärungen in unsicheren Zeiten, schüren Vorurteile und geben manchem das Gefühl, mehr zu wissen als die anderen – Fakenews. Und schlimmer noch – sie steuern politische Entscheidungen. Warum das so ist und wie wir damit umgehen können, schreibt Andreas Odrich von der ERF Aktuell-Redaktion.


Corona ist in Wirklichkeit ein biologischer Kampfstoff. Er wurde von den Chinesen entwickelt, um uns alle zu vernichten. Solche und ähnliche Falschmeldungen kursieren in diesen Tagen zu Hauf im Netz. Sie werden von der aufgeregten Netzgemeinde gerne geteilt und verbreitet. Doch warum nehmen viele Menschen solche Meldungen so ernst und sind geradezu dankbar dafür?

Unsichere Zeiten verlangen nach Erklärungen

Eines der schlimmsten Gefühle ist die Verunsicherung. Es macht uns verrückt, nicht zu wissen, „was ist“. Corona ist eine Bedrohungslage und verunsichert die Menschen. Werde ich krank oder werden meine Lieben vom Virus heimgesucht? Behalte ich meinen Arbeitsplatz, gibt es genug zu essen? Gehen bei uns bald die Lichter aus? Diese Frage rumoren in Vielen und rufen nach einer nur allzu menschlichen Antwort: „Wer ist eigentlich Schuld an unserem Unglück?“

Das Sündenbocksyndrom

In Krisenzeiten und Bedrohungslagen braucht der Mensch jemanden, auf den er die Verantwortung abwälzen kann. Das ist entlastend und wirkt geradezu wie ein Befreiungsschlag. Wenn ich einen Sündenbock gefunden habe, dann habe ich eine Adresse, bei der ich meine ganze Wut und meinen Frust abladen kann. Ich habe zudem eine vermeintliche Erklärung, die mir das grässliche Gefühl der Verunsicherung nimmt, denn dieses Gefühl hält der Mensch schlecht aus und will es so schnell wie möglich loswerden.

China – die „neue Bedrohung“

Doch warum eignet sich ausgerechnet China, oder noch besser „der Chinese“, in dieser Fakenews für die Sündenbockfunktion? China ist auf dem Weg zur Großmacht und gefährdet damit das bisherige Weltgefüge. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs brach der Kommunismus zusammen, der Westen ging daraus als Sieger hervor. Die Karten schienen gemischt und verliehen zumindest den Menschen im Westen Sicherheit und Stabilität. Doch genau diese Stabilität ist durch die vordrängende Wirtschaftsmacht China gefährdet. Das macht vielen Angst. Das Szenario erinnert an die zahlreichen Katastrophenfilme aus Hollywood. An die Stelle der Aliens rücken in der Gefühlswelt der Fakenews-Konsumenten und -Teiler die Chinesen: „Hilfe, der Chinese kommt, wir werden alle sterben!“

Gefühlt richtig

Nicht umsonst konnte Donald Trump mit seinem Slogan „America first“ den Wahlkampf gewinnen. Viele seiner Wähler sehen die Globalisierung als Gefahr für ihr Land und fürchten um ihren Wohlstand. Die Lösung liegt daher nahe, alle Grenzen dicht zu machen und das Land wie eine Festung abzuschotten; Balsam für die Seelen der Verängstigten und Verunsicherten. In Europa verlaufen die Argumentationsmuster bei den nationalkonservativen Parteien ebenso. Und somit haben solcherlei Fakenews tatsächlich das Potenzial, Wahlentscheidungen zu beeinflussen und die politischen Systeme zu destabilisieren. Ein „starker Mann“ scheint da in einer bedrohlichen und unübersichtlichen Welt die willkommene Lösung zu sein.

Politische Systeme wackeln

So geistert dieser Tage auch eine andere News durch die Kanäle. Corona wurde nur erfunden, um unsere Wirtschaft zu zerstören. Von wem eigentlich genau und warum, bleibt dabei im Unklaren. Wer dieser News folgt, hat aber zumindest das Gefühl, in der Krise mehr zu wissen als andere. In Italien hat derzeit eine Nachricht großen Erfolg, ein Mann aus Bayern habe Corona nach Italien eingeschleppt. Sie nährt wiederum die Wut und Enttäuschung der Italiener gegenüber den Deutschen, die trotz Wirtschaftskraft und ihrer Beschwörungsformeln europäischer Werte in der Corona-Krise zu spät anfingen zu helfen. In die Bresche sprangen hier übrigens China und Russland, die tatsächlich frühzeitig Medikamente und Hilfe lieferten; sicherlich auch, um die Europäer und vor allem die EU vorzuführen.

Wer widerspricht, greift die Persönlichkeit an

So absurd die Fakenews von der biologischen Geheimwaffe aus dem Reich der Mitte auch sein mag – sie bestätigt die unterschwellige Angst vor der Bedrohung und ist somit „gefühlt“ richtig. Wer dagegen argumentiert, hat einen schweren Stand. Denn er greift damit die Person des Anderen an, zerstört mit seiner Argumentation das mühselig wiedererlangte Sicherheitsgefühl und kappt die Blitzableiterfunktion seines Gesprächspartners für Wut und Verzweiflung. Die Diskussion ist aufgrund gefühlter Richtigkeiten kaum auf Sachebene zu führen und wird im Handumdrehen auf beiden Seiten hochemotional.

Ich bin okay, du bist böse

Auch die Warner vor Fakenews laufen Gefahr, ihren Standpunkt zu verklären. „Ich bin okay und moralisch hochwertiger, du bist böse und dumm“ – wenn es schlecht läuft, verhärten sich die Fronten. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft nimmt zu, das gegenseitige Hören auf echte Argumente wird immer schwieriger. An die Stelle eines Meinungsaustauschs unter Erwachsenen tritt der kindische Kampf um die Meinungshoheit an den virtuellen Stammtischen.

Soziale Netzwerke sind die eigentlichen Profiteure

Die eigentlichen Profiteure sind daher all diejenigen, denen daran gelegen ist, unsere Gesellschaft zu polarisieren. Der Zulauf für Parteien und Protestbewegungen an den Rändern nimmt zu. Die sogenannte Mitte hat es schwerer, sich Gehör zu verschaffen, denn sie versucht am ehesten, sich ausgewogen und abwägend zu äußern. Sofern ihr das gelingt, produziert sie damit aber keine Aufmerksamkeit. Doch die braucht es, um sich in der Welt der Sensations- und Skandalmeldungen bemerkbar zu machen. Denn Aufreger werden im Netz 6 bis 10 mal schneller und häufiger geteilt als sauber recherchierte Nachrichten, die per Definition keine vorschnellen Antworten liefern können.

Wir sollen uns aufregen

Die sozialen Netzwerke indes leben davon, dass wir uns echauffieren. Wir brauchen den Empörungsschub, um eine Nachricht beim Drüberwischen mit dem Daumen überhaupt wahrzunehmen. Bruchteile von Sekunden entscheiden darüber, ob wir eine Nachricht teilen oder ignorieren. Daher ist es kein Wunder, dass jede zweite Nachricht mit Worten wie Skandal, Unmöglich, Mord, Blut und Totschlag betitelt ist. Denn nur dann hat sie eine Chance, Klickzahlen zu erzeugen und viral zu gehen.

Und genau das brauchen die Sozialen Netzwerke. Denn nur so legen wir unsere Kontakte, Vorlieben und Ängste offen. Nur so entsteht ein brauchbarer elektronischer Fußabdruck von uns. Und das geht am besten mit Skandalmeldungen. Direkte und indirekte politische Werbung, die genauestens auf ihre Empfänger zugeschnitten ist, kann dadurch Wahlen und politischen Verhältnisse enorm beeinflussen, wie der fortwährende Streit um die vergangene US-Präsidentschaftswahl zeigt, wo diese Mechanismen erstmalig sehr offensichtlich anfingen zu greifen.

Wie ein vernünftiger Umgang mit Fakenews gelingen könnte

Es wäre schön, wenn wir diesen Meldungen einfach nur durch Lachen, Löschen und Kopfschütteln begegnen könnten. Dazu ist die Lage aus den oben genannten Gründen aber zu herausfordernd.
 

Dennoch gibt es einiges Handwerkszeug, mit dem wir auf Fakenews reagieren können:

1. Die Wahrscheinlichkeitsprüfung

Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass eine Meldung stimmt? Hätte im zitierten Fall China tatsächlich ein Interesse, „uns alle zu vernichten“? Die Wahrscheinlichkeit ist eher gering, denn die Globalisierung lebt vom Handel. Wer jedoch alle seine Handelspartner vernichtet, hat am Ende niemanden mehr, mit dem er noch Geschäfte machen könnte.

2. Werden die handelnden Personen konkret genannt

Es ist nicht gewollt, dass wir Vitamin C nehmen;“ eine Behauptung, die tatsächlich in einer weiteren Fakenews kursiert. Die Autoren nutzen den Schwung der Corona-Welle, um den Konsum hochpreisiger Vitaminprodukte anzukurbeln. Hier darf gefragt werden, wer sich denn hinter diesem „Es“ verbirgt. Die Regierung? Aber welchen Sinn hätte dies und warum hat dann nicht längst die Opposition eingegriffen?

Die Ärzte, die in der Regel ohnehin nur Medikamente verschreiben, die vorhandene Ursachen bekämpfen, aber keine Nahrungsergänzungsmittel, die zurzeit gehandelt werden wie hochwirksame Medizinpräparate? Oder will „man“, dass wir alle krank werden, damit wir zum Arzt laufen und uns teure Produkte der Schulmedizin verschreiben lassen – auch das ist eher unwahrscheinlich, denn kranke Mitarbeiter fallen in unserer Hochleistungsgesellschaft bei der Produktion aus und schwächen somit die Gewinnmaximierung.

3. Nicht konsumieren, sondern recherchieren

Nicht alles glauben und kritisch bleiben ist daher das Gebot der Stunde. Selbst auf die Suche gehen. Wer z.B. bei Google oder einer anderen Suchmaschine das Stichwort Corona eingibt, der wird als erstes die Seiten des Robert-Koch-Institutes finden, oder die des Bundesgesundheitsministeriums. Dort gibt es alle Neuigkeiten aus erster Hand zu lesen. Zahlreiche Nachrichtenmagazine öffentlich-rechtlicher Sender und privatwirtschaftlicher Verlagshäuser betreiben News-Ticker zu Corona.

Jedem steht es frei, sich dort zu informieren und sich selbst eine Meinung zu bilden. Und selbst wenn ich gut begründet die Kontaktbeschränkungen, die wir zurzeit haben, für schwierig halte, bin ich bei einem renommierten Verlagshaus allemal besser aufgehoben als bei einer WhatApps-Meldung, die mir Freunde von irgendeiner besorgten „Gisela“ weitergeleitet haben, die „in einem Büro arbeitet und genau beobachtet, wie wir alle unsere Jobs verlieren sollen“ und deshalb vermeintliches Expertenwissen besitzt.

4. Debattenkultur üben

Wer verschiedene Sichtweisen kennenlernen will, die ein einigermaßen seriöses aber vielschichtiges und kritisches Bild auf die Lage werfen, der forste einmal auf den Seiten des Deutschlandfunks in den verschiedenen nationalen und internationalen Formaten der Presseschau. Dort findet sich regelmäßig das Für und Wider zu einem bestimmten Thema und auch zum Umgang der Politik mit dem Corona-Virus. Kontroverse Debatten bilden auch die Talkformate im TV ab, wo in der Regel Vertreter gegensätzlicher gesellschaftlicher Gruppen zu Wort kommen und auch die Zuschauer mit ihren unterschiedlichen Meinungen, die sich per Mail oder über die sozialen Netzwerke mit unterschiedlichen Standpunkten auch ohne Hass und Hetze an der Debatte beteiligen.

5. Den anderen lieben wie sich selbst

Christen haben zudem die Möglichkeit, sich ganz am christlichen Menschenbild zu orientieren. Das sieht den anderen grundsätzlich nicht als Gegner, sondern als Geschöpf Gottes. Natürlich muss und darf jeder dabei eine andere Meinung haben. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ich jemanden niedermache oder ihm meine Meinung vortrage. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Hass und Hetze wo immer sie auftreten mögen, deutlich und unmissverständlich zu widersprechen, aber mit der klaren Unterscheidung zwischen Mensch und Meinung – gerne leidenschaftlich aber eben ohne falsche Emotion und böswillige Unterstellungen.

6. Einfach mal das Smartphone bei Seite legen

Fakenews dürfen also getrost gelöscht werden. Niemand muss sich damit befassen. Ein Mittel ist auch, das Netz mit sinnvollen Aktionen zu füllen, etwa durch Hilfsangebote, wie es jetzt überall im Land geschieht. Das belebt und schafft neue Freunde, sorgt für positive Energie und macht konstruktiv im Denken und Handeln.

Und dann gibt es noch die eine große Möglichkeit – einfach mal den Laptop zuklappen und das Smartphone bei Seite legen. Vor die Tür treten, durchatmen und Fakenews Fakenews sein lassen.

Autor/-in: Andreas Odrich

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