07.07.2024 / Wort zum Tag

Sich selber verlieren

Denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seinem Leben?

Matthäus 16,26

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Die ganze Welt gewinnen - das wär’s doch. Alles besitzen. Sich alles leisten können. Vor nichts und niemandem Angst haben müssen. In meinem Kopf entstehen Bilder von den Reichen und Schönen dieser Welt. Elon Musk, Taylor Swift, Kim Kardashian. Doch dann denke ich: Weiß ich, ob nicht auch sie nachts ins Kissen heulen? Ob nicht auch sie heimlich Angst haben, dass alles irgendwann aus und vorbei sein könnte? Geld weg, Erfolg weg, Ruhm weg, Schönheit sowieso. Denn auch dafür gibt es ja genügend Beispiele. Menschen, die ganz oben waren und irgendwann erbarmungslos durchgereicht wurden nach ganz unten und dabei buchstäblich Schaden genommen haben an Leib und Leben, an Herz und Seele. Tragische Heldinnen und Helden, für die die Öffentlichkeit nur noch Bedauern übrig hat. Oder gar Schadenfreude.

Man kann die ganze Welt gewinnen - und wieder verlieren. Das ist schlimm genug. Schlimmer allerdings ist, wenn man dabei sich selber verliert. Seine Mitte. Die Seele. Lebenskraft und Lebenswille.

Dieser Frage sollte ich nicht ausweichen: Wofür lohnt es sich zu leben? Was soll mein Leben bewirken? Wo möchte ich am Ende meines Lebens stehen? Und mit wem? Und worauf möchte ich dann dankbar und glücklich zurückschauen?

Geld kann’s nicht sein. Das muss ich zurücklassen. Ruhm auch nicht. Der verblasst schneller als er aufgeblüht ist. Und Schönheit, Attraktivität? Von Marlene Dietrich, dem deutschen Filmstar des letzten Jahrhunderts, erzählt man, sie habe sich in den letzten Jahren ihres Lebens kaum noch aus dem Haus getraut. Niemand sollte sie als alte, gebrechliche Frau sehen. Ob sie glücklich und zufrieden gestorben ist?

Johann Peter Hebel hat die Geschichte vom niederländischen Herrn Kannitverstan erzählt:

Ein junger Handwerker aus Schwaben ist zum ersten Mal in Amsterdam. Vor einem prächtigen Haus bleibt er stehen und fragt, wem es gehört. Er fragt auf schwäbisch, er kann keine andere Sprache. Die Holländer verstehen ihn nicht und antworten: „Kan nit verstan!“ „Ich verstehe nicht.“ Das aber hält er für den Namen des reichen Mannes. Herr Kannitverstan. Aha. Der wird ihm dann wieder genannt, als er sieht, wie aus einem großen Schiff prächtige Waren geladen werden. „Wem gehört das?“ „Kan nit verstan.“ Und er fängt an, den reichen Herrn Kannitverstan zu beneiden. Bis er einem langen Trauerzug begegnet. Auf seine Frage, wer denn hier zu Grabe getragen wird, antwortet einer der Trauernden wie die Befragten zuvor: „Kan nit verstan!“ Was ihn erschüttert und beruhigt: Auch die unermesslich Reichen müssen sterben.

Das war immer so. Das wird immer so sein. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Auch wenn man in alten Kulturen reichen Verstorbenen ins Grab legte, was ihnen im Leben etwas bedeutet hatte.

Jesus blickt nüchtern auf unser Leben. Einmal sagt er: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seinem Leben?“ Und er bietet den Gegenentwurf: Leben und volle Genüge. Leben im Überfluss. Leben, das am Ende ins ewige Leben mündet, in Gottes himmlische Ewigkeit. Dieses Leben ist das Leben an seiner Seite. Oder besser noch: Hinter ihm her. Nachfolge nennt das das Neue Testament. So ein Leben mag rein äußerlich betrachtet keinen Erfolg haben. Es mag nicht zu Ruhm und Erfolg führen. Aber es führt in den Himmel. Am Ende werden die, die sich darauf eingelassen haben, sagen: Ja, mein Leben hat sich gelohnt. Ich war erfüllt von Gottes Freundlichkeit, ich war umgeben von seinem Licht, ich war geführt von seiner Liebe. Und ich habe anderen ein klein wenig von dieser Freundlichkeit, diesem Licht, dieser Liebe weitergegeben. Mein Leben hat keinen Schaden genommen. Und ich habe mithelfen dürfen, andere vor dem Totalschaden ihres Lebens zu bewahren. Es war ein gutes Leben.

Und nun gehts erst richtig los!

Autor/-in: Jürgen Werth