13.06.2020 / Wort zum Tag

„Seufz!“

Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt.

Römer 8,26

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In Venedig verbindet die Seufzerbrücke den Dogenpalast mit dem Gefängnis. Die Gefangenen wurden früher nach der Verurteilung über diese Brücke in das Gefängnis überstellt. Dabei konnten sie von der Brücke aus noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Lagune in die Freiheit werfen. Da diese Sehnsucht sich in einem hörbaren Seufzen äußerte, nannte man die Brücke die Seufzerbrücke.

Das achte Kapitel im Römerbrief ist das Seufzerkapitel. Die Schöpfung seufzt, weil sie in ihrer Vergänglichkeit gefangen ist. Sie sehnt sich nach der herrlichen Freiheit in der neuen Schöpfung. Auch die Christen seufzen und sehnen sich nach der Vollendung angesichts ihrer oft qualvollen irdischen Existenz.

Aber nun überrascht etwas im Römerbrief. Dort heißt es: „Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen“ (Röm 8,26).

Also nicht nur die Schöpfung seufzt, einschließlich der Christen, sondern auch der Heilige Geist wirkt in unaussprechlichem Seufzen.

Der Heilige Geist macht sich eins mit unserer Schwachheit. Bei meiner ersten Beerdigung als Pastor musste ich einen Jugendlichen aus unserem Jugendkreis beerdigen. Er war bei einer Skitour auf tragische Weise abgestürzt. Als ich die erschütternde Nachricht erhielt, bestand ich nur noch aus Schmerz und Unverständnis. Ich wusste nicht mehr, was ich denken und beten sollte. Das waren Stunden unglaublicher Schwachheit. Da fehlen die Worte zum Beten. Und wenn man es versucht, was ist dann angemessen? Zornige Anklage gegen Gott? Die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn? Der Hilfeschrei?

Unsere Hilflosigkeit ist dann nicht das Entscheidende. Das Entscheidende sagt uns der Bibelvers: Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. Wo uns die Worte fehlen, wo unsere Gefühle Achterbahn fahren, da nimmt sich der Heilige Geist unseres Unvermögens an. Er macht aus unserem Stöhnen ein Seufzen vor dem himmlischen Vater. Er tritt bei Gott für uns ein mit einem unaussprechlichen Seufzen. So vergegenwärtigt er unseren Seelenzustand in der himmlischen Welt und trägt unsere Not an Gottes Herz.

Wir müssen nicht die richtigen Worte finden. Was ist da schon richtig? Wir müssen keine falsche Stärke oder Tapferkeit vorspielen. Wir müssen nicht als Glaubensheld dastehen.

Wir dürfen uns auf das Wirken des Heiligen Geistes verlassen und erwarten, dass das Seufzen des Geistes das Herz Gottes berührt. Wir dürfen uns fallenlassen und dann erfahren, wie Gott seine Hand nach uns ausstreckt, um uns aufzufangen. Er hält uns und hält unsere Schwachheit aus. Und so wird uns aufgeholfen.

Autor/-in: Günter-Helmrich Lotz