24.10.2023 / Theologie

Sanftmut: was ist das?

„Selig sind die Sanftmütigen...“, sagt Jesus. Aber was meint er damit? Und wie sieht ein entsprechender Lebensstil aus?

Was die Bibel mit Sanftmut meint, möchte ich gerne anhand von zwei Personen erklären: Mose und Jesus. Mose, weil er als der sanftmütigste Mann seiner Zeit beschrieben wird, und Jesus, weil er Mose noch übertraf – er verkörpert die göttliche Sanftmut.

Zuerst zu Mose. Die Aussage, dass er ein äußerst sanftmütiger Mensch war, fällt in Zusammenhang mit einem Konflikt mit seinen Geschwistern, in dem auch seine Rolle als Führer des Volkes in Frage gestellt wurde: „Dort übten Mirjam und Aaron Kritik an Mose wegen der kuschitischen Frau, die er geheiratet hatte. Er hatte sich nämlich eine kuschitische Frau genommen. Sie fragten: „Hat der Herr wirklich nur durch Mose geredet? Hat er es denn nicht auch durch uns getan?" Und der Herr hörte es. Mose war sehr demütig, es gab niemanden auf der Erde, der demütiger war als er“ (4.Mose 12,1-3).

So lautet der Text in der Übersetzung Neues Leben. Andere Übersetzungen wie die Schlachter- oder die Mengebibel verwenden „sanftmütig" statt „demütig". An anderen Stellen wird das hier verwendete hebräische Wort auch mit „arm" bzw. „elend" übersetzt.

Wie passt das zu einer der größten Führungspersönlichkeiten der Geschichte – sowohl im politischen als auch im geistlichen Sinn? Muss ein Anführer nicht hartgesotten sein, dominant und mit Durchsetzungsvermögen?

Führung erfordert Persönlichkeit

Jemand, den Gott zum Führer macht, muss nicht nach außen hin hart sein und sich durchsetzen, sondern innerlich, sich selbst gegenüber. In Gottes Schule lernte Mose seinen Zorn und sein vorschnelles Durchgreifen (vgl. 2.Mose 2,12) zu zügeln.

In 40 Jahren Wüstenleben und Schafehüten lernte Mose Geduld, Demut, Sanftmut. Härte war angebracht gegenüber der eigenen Ungeduld, dem eigenen Tatendrang, der Sehnsucht nach dem angenehmen Leben am ägyptischen Hof.

Mose musste lernen, zurückzustecken und Gott die Führung zu überlassen. Gott macht Menschen zu Führern, die er gelehrt hat, sich zu zügeln, sich führen zu lassen, sich dem Willen Gottes unterzuordnen.

Gott macht Menschen zu Führern, die er gelehrt hat, sich zu zügeln, sich führen zu lassen, sich dem Willen Gottes unterzuordnen.

Deshalb musste Mose auch keine Angst um seinen Führungsanspruch haben, als er von seinen Geschwistern angegriffen wurde – schließlich hatte er sich ja nicht selbst zum Führer gemacht, sondern Gott hatte ihn dazu gemacht. Und so regelte nun auch nicht Mose selbst die Führungsfrage, sondern Gott regelte sie, indem er Mose bestätigte und seine Geschwister zurechtwies.

Weil Mose durch die Schule Gottes gegangen war, grollte er seinen Geschwistern auch nicht, sondern er schrie zu Gott, dass er Mirjam von dem Aussatz heilen möge, mit dem sie bestraft worden war (siehe 4.Mose 12).

Das ist wahre Sanftmut: Wenn man seine Rechte und Ansprüche nicht mit Zorn und Gewalt verteidigen muss, sondern die Verteidigung und Vergeltung in Gottes Hand lässt, dem man ja auch alle Rechte und Ansprüche verdankt.

Sanftmut in Vollendung

Und genau diese Eigenschaft ist es auch, die Jesus besonders auszeichnet. Prophetisch vorausblickend schreibt Jesaja über ihn: „Ich habe meinen Rücken denen entgegengehalten, die mich schlugen und meine Wangen denen, die mir den Bart ausrissen. Ich habe mein Gesicht nicht vor Hohn und Speichel verborgen. Doch Gott, der Herr, wird mir helfen. Darum werde ich nicht beschämt dastehen. Deshalb habe ich mein Gesicht gehärtet wie einen Kieselstein. Ich weiß, dass ich nicht blamiert dastehen werde. Er, durch den mir Gerechtigkeit widerfährt, ist mir nah. Wer will sich mit mir anlegen? Lasst uns zusammen vortreten. Wer will mein Ankläger sein? Er soll sich zeigen! Seht, Gott, der Herr, hilft mir. Wer will mich für schuldig erklären? Sie werden alle vernichtet werden wie alte Kleider, die von Motten zerfressen wurden!“ (Jesaja 50,6-9).

Petrus, der diese Sanftmut auch erst lernen musste, schreibt rückblickend über Jesus: „Er hat nie gesündigt und nie jemanden mit seinen Worten getäuscht. Er hat sich nicht gewehrt, wenn er beschimpft wurde. Als er litt, drohte er nicht mit Vergeltung. Er überließ seine Sache Gott, der gerecht richtet“ (1.Petrus 2,22-23).

Ein herausfordernder Lebensstil

Und genau diesen Charakterzug von Jesus Christus empfiehlt Petrus den Gläubigen in seinem Brief gleich zweimal zur Nachahmung: „Dieses Leiden gehört zu dem Leben, zu dem Gott euch berufen hat. Christus, der für euch litt, ist euer Vorbild, dem ihr nacheifert“ (1.Petrus 2,21).

„Schließlich sollt ihr alle einig sein, voller Mitgefühl und gegenseitiger Liebe. Seid barmherzig zueinander und demütig. Vergeltet Böses nicht mit Bösem. Werdet nicht zornig, wenn die Leute unfreundlich über euch reden, sondern wünscht ihnen Gutes und segnet sie. Denn genau das verlangt Gott von euch, und er wird euch dafür segnen!“ (1.Petrus 3,8-9).

Das ist der Geist der Bergpredigt (besonders Matthäus 5). Diesen Geist hat Jesus gelehrt und gelebt – bis zum bitteren Ende. Und doch war dieses Ende – der Tod Jesu am Kreuz – gleichzeitig ein herrlicher, triumphaler Neubeginn: durch Jesu Sanftmut und Demut, durch seinen Gehorsam, wurde der Plan Gottes zur Erlösung der Menschen erfüllt.

Wenn sich jemand selbst aufgibt für Gott, so ist er nicht verlassen und verkauft (wenn es auch eine Zeit lang so scheinen mag). Gott wird zu seiner Seite stehen, ihn verteidigen, ihn rechtfertigen, ihn segnen. Wer sich vor Gott demütigt, den wird er zu seiner Zeit „erhöhen" (Philipper 2,5-11; Jakobus 4,10).

Durch Jesu Sanftmut und Demut, durch seinen Gehorsam, wurde der Plan Gottes zur Erlösung der Menschen erfüllt.

Wie wir gesehen haben, ist Sanftmut in der Bibel ganz eng mit Demut verknüpft. Sanftmütig sein heißt, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, nicht beleidigt zu sein, nicht zu hassen, zu streiten und um sich zu schlagen, weil man sich persönlich gekränkt oder angegriffen fühlt.

Mose konnte durchaus hart sein, wenn es nicht um ihn persönlich, sondern um Gott uns dessen Reich ging (3.Mose 27,25-28). Aber er tat es nicht aus Rache oder Groll, sondern weil er Gott liebte und weil er das Volk liebte. Er setzte sich bis aufs äußerste dafür ein, dass Gott das Volk angesichts seiner großen Sünde nicht vertilgte, sondern ihm vergab (2.Mose 32,10-142.Mose 32,31-33).

Ein besonderes Versprechen

Die biblische Sanftmut bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit den Mitmenschen, sondern auch auf den Umgang mit Gott und seinem Wort: „Liebe Freunde, seid schnell bereit, zuzuhören, aber lasst euch Zeit, ehe ihr redet oder zornig werdet. Zorn kann niemals etwas bewirken, das in Gottes Augen gerecht ist. Trennt euch deshalb von allem Schlechten und Bösen in eurem Leben und nehmt die Botschaft Gottes, die er euch gegeben hat, demütig an, denn sie hat die Kraft, eure Seelen zu retten“ (Jakobus 1,19-21).

Als Menschen stehen wir in der Gefahr, nur dem eigenen Ego gegenüber sanftmütig zu sein, während wir gegenüber Gottes Wort rebellieren und unseren Mitmenschen gegenüber voller Zorn und manchmal auch Aggression sind.

Verkörperungen dieser Haltung sind z.B. Kain und sein Nachkomme Lamech: Kain, der sich gegen Gott und gegen seinen Bruder erhob und ihn erschlug (1.Mose 4,8), und Lamech, der sich mit seinen Gewalttaten brüstete (1.Mose 4,23-24).

Ein Mensch Gottes dagegen ist nicht zimperlich sich selbst gegenüber, dafür aber demütig gegenüber dem Reden Gottes und sanftmütig gegenüber seinem Nächsten.
 

Ich möchte mit folgendem Zitat aus der Bergpredigt schließen: „Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“ (Matthäus 5,5). Am Ende werden nicht diejenigen reich und glücklich sein, die um Besitz gekämpft haben, sondern diejenigen, die sich vor Gott gedemütigt haben, sich seiner Führung überlassen haben und bereit waren, um seinetwillen Unrecht zu leiden. Wir haben Vorbilder solcher Sanftmut und Demut – besonders eben Jesus Christus. Möge er uns helfen, in seine Fußstapfen zu treten (vgl. Kolosser 3,8-13).
 

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