08.07.2014 / Wort zum Tag

Römer 15,2

"Jeder von uns lebe dem Nächsten zu gefallen, ihm zum Wohl, um ihn aufzubauen. "

Römer 15,2

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Im Englischen gibt es eine treffende Bezeichnung für Menschen, die es allen ihren Mitmenschen recht machen wollen. Sie wollen es mit niemandem verderben und bemühen sich krampfhaft, allen gegenüber nett zu sein. Nur ja nicht irgendwo anecken. Nur ja niemandem zu nahe oder gar auf die Füße treten – um im Bild zu sprechen. Die Engländer nennen einen solchen Menschen „everybody’s darling“ – zu Deutsch: Jedermanns Liebling.

Das Bibelwort aus dem Neuen Testament für den heutigen Tag beginnt mit der Aufforderung: „Jeder von uns lebe dem Nächsten zu gefallen ...“ Das klingt nach „everybody’s darling“. Jeder soll so leben, dass es den Mitmenschen gefällt. Das könnte so verstanden werden, wenn der Satz hier zu Ende wäre. Ist er aber nicht. Es geht nämlich weiter mit: „... ihm zum Wohl, um ihn aufzubauen.“ Also: „Jeder von uns lebe dem Nächsten zu gefallen, ihm zum Wohl, um ihn aufzubauen.“

Das soll mein Ziel sein: Den Nächsten aufzubauen. Dabei geht es gar nicht um mich. Da geht es um ihn oder um sie. Um den anderen Menschen in meiner Nähe, der mich gerade braucht.

Da muss ich eben gerade nicht auf mich sehen, darauf, wie ich auf andere wirke, damit sie gut von mir denken. Da muss ich auf den anderen sehen. Da muss das Leben des anderen mir die Frage stellen, wo dieser Mensch mich braucht.

Wenn etwas aufgebaut werden soll, dann ist es ja eben noch im Bau, noch nicht fertig, vielleicht sogar baufällig oder ganz zerstört. Da bin ich gefragt. Wo und wie kann ich helfen?

1967 haben wir unser Haus in unserem Dorf bezogen. Es ist ein Doppelhaus. Das Grundstück war so zugeschnitten, dass es für eine Familie zu groß, für zwei einzelne Häuser aber zu schmal war. So wagten wir es, mit einer befreundeten Familie gemeinsam ein Doppelhaus zu bauen. Mit diesen Freunden verband uns auch der gemeinsame Glaube an Jesus Christus.

Von den Leuten im Dorf wurde das Vorhaben mit einem gewissen Argwohn betrachtet. Einige sagten in der plattdeutschen Mundart: „Na, wo lang’n dat woll duurt, bit de sick to klook wart.“ Auf Hochdeutsch: „Na, wie lange wird es wohl dauern, bis die sich zu klug werden, d. h. bis sie in Streit geraten.“

Sicher haben wir auch das eine oder andere Mal unterschiedliche Meinungen gehabt. Aber unserem gemeinsamen Herrn sei Dank: Er hat uns immer wieder gegenseitig die Augen geöffnet für Aufbauhilfe beim jeweils anderen.

Das traf manchmal sogar im wörtlichen Sinne zu. Dazu ein Beispiel: Wir hatten uns vorgenommen, unser Haus selbst zu verfugen. Da unser Freund aber nicht schwindelfrei war, blieb mir die Aufgabe, oben am First und am Schornstein die Fugenarbeiten zu verrichten.

Und umgekehrt: Als meine Frau an Krebs erkrankte, haben wir gemeinsam gehofft, gebetet und schließlich geweint, als sie starb. Und als ich dann allein war, wurde ich oft „drüben“ – wie unsere Kinder sagten – zum Mittagessen eingeladen.

Das alles setzt eines voraus: Ich muss, wenn ich Aufbauhilfe leisten will, erst einmal wissen, wo Hilfe Not ist. Dazu muss ich offene Augen haben. Die habe ich von Natur aus nicht. Die muss ich mir erst schenken lassen. Gott muss mir die Augen öffnen. Für das, was der andere gerade jetzt braucht. Das müssen ja gar nicht immer große Dinge sein. Da genügt manchmal schon ein freundliches Lächeln, ein fröhlicher Gruß, ein aufmunterndes Wort oder eine kleine Handreichung. Aber das kann natürlich auch bis zu einem womöglich nächtelangen Ringen um Klarheit in einer entscheidenden Lebensfrage gehen.

Dann geht es letztendlich gar nicht mehr darum, Menschen zu gefallen, also „everybody’s darling“ zu sein, sondern es geht darum, das zu tun, wofür Gott mir die Augen geöffnet hat.

Autor/-in: Hans-Peter Bartels