31.10.2023 / Kommentar

Reparieren statt wegwerfen

Was Reformation mit Socken Stopfen zu tun hat.

In einer Folge der „Sendung mit der Maus“ erklärte Moderator Armin Maiwald in der ARD, wie man Löcher in Socken stopft. Richtig mit Stopf-Ei, Nadel und Faden. Mein vierjähriger Sohn sah staunend zu. Dann fragte er: „Mama, warum macht der Mann das?“ Ich erklärte ihm, dass man Kleidungsstücke oder Geräte nicht sofort wegschmeißen müsse, wenn sie kaputtgehen. Manchmal könne man sie reparieren – so wie die Hose, die er am Vortag getragen hatte, die mit dem aufgebügelten Flicken am Knie. Mein Sohn nickte.

Das Prinzip „Reparieren und Weiternutzen“ schien ihm einzuleuchten und ich überlegte, ob ich kaputte Socken fortan auch stopfen sollte, statt sie einfach zu ersetzen. Große Lust und Tatendrang überkamen mich bei dem Gedanken nicht. Ehrlich gesagt: Ich müsste mir die Sendung noch einmal ansehen, weil ich noch nie im Leben eine Socke gestopft habe. Aber wegwerfen und neu kaufen ist natürlich viel bequemer als ausbessern und weiter verwenden. Wozu der Aufwand?

Die radikale Lösung: Alles auf Reset

Alles, was Abnutzung unterworfen ist, geht irgendwann kaputt. Gegenstände, Beziehungen, Ideen, Konventionen, Politik, Ideologien, Religionen. Socken kriegen Löcher, langjährige Beziehungen rutschen in Krisen und unsere Bundespolitik ist auch schon ganz schön fadenscheinig. Wegwerfen oder reparieren? Wegwerfen wäre nicht nur die radikalere Lösung, sondern auch die bequemere.

Warum Arbeit in eine Ehe investieren, die nicht mehr läuft, wenn der nächste Partner frei erhältlich ist? Warum sollte man Demokratie pflegen, wenn die versprochene Gerechtigkeit für alle an Eitelkeiten und faulen Kompromissen scheitert? Es wäre einfacher, kaputte Beziehungen, kaputte Ideen und kaputte Systeme über Bord zu werfen und ganz neu zu starten – oder?

Manchmal wünsche ich mir einen Reset-Knopf für die gesamte Weltpolitik, der das ganze System auf Null herunterfährt und neu startet. Dann wäre Schluss mit Seil- und Feindschaften, mit Krisen, Kriegen und Ungerechtigkeiten. Dann könnten neue Köpfe mit Vernunft und Umsicht regieren.

In der Bibel wird davon erzählt, wie Gott das tatsächlich einmal getan hat. Er sah die Menschheit im Chaos versinken und wählte die radikale Lösung: den Reset-Knopf. Mit einer alles vernichtenden Flut löschte er die Menschheit bis auf einen winzigen Rest aus. Nur Noah und seine Familie, die sich nicht von Bosheit hatten korrumpieren lassen, hatten den System-Neustart überlebt. Gott aber schien von seiner eigenen Radikalität so beeindruckt, dass er versprach, nie wieder auf „Reset“ zu drücken. Stattdessen setzte er fortan auf Reparatur und Kurskorrektur.

In Jesus ist Gott quasi selbst zum Handwerker geworden, um die Fehler der Menschheit auszubessern.

Reformation ist nicht radikal

Den politischen Reset-Knopf gibt es nicht und das ist gut so. Auch, wenn das Wort „Reform“ aus dem Mund von Politikern ebenso abgenutzt und löcherig erscheint wie oftmals die Bundespolitik, so ist Reform trotzdem das Prinzip, das uns bis zum finalen Reset am besten dienen wird. Reformieren bedeutet „verändern“ im Sinne von „verbessern“ und „neu gestalten“. Sie erhält das Bewährte und entwickelt es weiter, indem sie Fehler ausbessert und neue Elemente zulässt.

Wer reformiert, verhält sich wertschätzend gegenüber der Ausgangsidee, verharrt aber nicht in der Rückschau auf die „schönen, alten Zeiten“, sondern hat den Mut, aufgrund der Ausgangsidee eine ungewisse Zukunft zu gestalten, wobei er die Fehler, die gemacht wurden, wahrnimmt und benennt.

Reformieren bedeutet „verändern“ im Sinne von „verbessern“ und „neu gestalten“. Sie erhält das Bewährte und entwickelt es weiter, indem sie Fehler ausbessert und neue Elemente zulässt.

Dem Reformator Martin Luther wird gerne „Radikalität“ nachgesagt. Dabei war es nie seine Absicht, die Kirche zu spalten und eine neue Kirche zu gründen. Ihm war daran gelegen, das Gute, das er in der Kirche sah, zu erhalten. Er war aber auch wach und anständig genug, um die haarsträubenden Fehler, die der Klerus beging, wahrzunehmen. Er folgte nicht blind jenen, die die Führung beanspruchten, sondern stellte ihr Handeln infrage. Damit war er zu seiner Zeit mit Sicherheit nicht der einzige.

Doch was Luther auszeichnet, war sein Mut zur Veränderung. Der Mut, die Fehler im System aufzudecken, öffentlich zu machen und im Hinblick auf die ungewisse Zukunft konkrete Schritte vorzuschlagen, wie diese Fehler behoben werden können. Es ging ihm nicht um einen kompletten Neustart, sondern um eine Veränderung im Sinne von „Verbessern“.

Wie das mit Reformen aber so ist, können sie eine Dynamik entwickeln, die der Verursacher nicht beabsichtigt hat. Sicherlich hatte Luther mit seinen 95 Thesen kein Jahrhundert der Religionskriege provozieren wollen. Auch Michail Gorbatschow wollte die Sowjetunion nicht abschaffen, sondern reformieren. Beide wurden von der Dynamik ihrer Reformen überrollt. Doch ohne den Mut zur Veränderung wären die Fehler im altbewährten System nicht nachhaltig korrigiert worden und hätten weiter für Leid und Unfreiheit gesorgt.

Ohne den Mut zur Veränderung wären die Fehler im altbewährten System nicht nachhaltig korrigiert worden und hätten weiter für Leid und Unfreiheit gesorgt.

Für die heutige Lage wünsche ich mir weniger Wegwerf-Mentalität, sondern mehr Mut zu echter Reform, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das bedeutet: Bewährtes schätzen, Fehler aufdecken und benennen und trotz ungewisser Zukunft Neuerungen wagen. Das mag manches Beben nach sich ziehen, aber ohne diesen Mut wird Stillstand herrschen.

Autor/-in: Katrin Faludi

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