13.02.2024 / Wort zum Tag

Reden und Handeln

Jesus spricht: Was nennt ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?

Lukas 6,46

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Jesus spricht: Was nennt ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?
Das sitzt. Im Matthäusevangelium, Kapitel 7, ab Vers 21 in der „Bergpredigt“ klingt dieser Satz noch viel krasser, was Lukas aus der sogenannten Feldrede nur recht knapp berichtet.

Eine ganz besondere Bedeutung bekommt dieser Satz in der Reformationszeit. Martin Luther hatte die Gnade Gottes wiederentdeckt und versucht, diese biblische Erkenntnis seinen Zeitgenossen zu vermitteln, die unter den religiösen Anforderungen der damaligen Kirche litten. Du bist erlöst – allein aus Gnade. Diese befreiende Botschaft verbreitet sich europaweit. Überall gibt es eine Rückbesinnung auf die Bibel und große Dankbarkeit.

Die Ideen von der „Freiheit eines Christenmenschen“ (1520), von der gebrochenen Allmacht von Papst und Konzilien („auch Konzilien können irren“ 1519), die Ablehnung des Zölibats und die neue Freiheit zur Bibelauslegung ohne Lizenz aus Rom schlagen riesige Wellen in ganz Europa. Vor allem die biblische Erkenntnis, dass der Mensch vor Gott nicht durch eigene Anstrengung und mühevolle Bußübungen, sondern durch Gottes Gnade gerecht wird, geht den Leuten ein wie Honig – mit allen Risiken und Nebenwirkungen: 

In der Bevölkerung macht sich bald die Vorstellung einer billigen Gnade breit. Es entwickelt sich daraus rasch eine Art Heilssicherheit, dass die Leute meinen, wenn sie die Gnade angenommen hätten, könne ihnen nichts mehr passieren.
1527 – also 10 Jahre nach dem Thesenanschlag – lässt Luther deshalb eine Untersuchung in Kursachsen durchführen mit der Frage, was denn inzwischen aus der Reformation und dem befreienden Evangelium geworden ist. Eine Kommission unter Leitung seines engsten Mitarbeiters Philipp Melanchthon reist durch das Land – und kommt ziemlich deprimiert zurück:

Er berichtet dem schockierten Reformator, dass sich im Alltag so gut wie gar nichts geändert habe. Die Leute sagen zwar alle, dass sie jetzt erlöste und befreite Christen seien, aber viele lügen weiter, stehlen weiter, brechen die Ehe usw. – alles wie vorher.

Luther ist schockiert und gerät in riesige Zweifel: Ich habe die Kirche gespalten, aber es hat nichts gebracht. Wenn sich im Alltag nichts geändert hat, dann ist die ganze Reformation nichts wert. Er beginnt zurückzurudern, betont plötzlich doch wieder den Wert der „Werke“, wie man damals gute Taten nannte, und gerät sogar in einen Streit mit seinen Schülern: Sie halten ihm seine frühen Schriften und Thesen vor, dass die Werke doch nichts nutzen, sondern allein die Gnade.

Nein – entgegnet Luther jetzt, die Gnade allein genügt nicht, die Lebensänderung im Alltag muss dazukommen, sonst verpufft die Gnade. Man nennt diesen Streit in der Theologie den „antinomistischen Streit“.

Luther, den in dieser Zeit auch viele schwere Krankheiten plagen, beginnt an vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen, zu klären und zu erklären und manchmal auch zurückzurudern – aber oft vergeblich. Er schläft oft nur vier Stunden die Nacht, arbeitet wie ein Besessener an immer neuen Schriften, z.B. schreibt er in dieser Zeit den großen Katechismus, in dem er das christliche Alltagsleben erklärt. Es schmerzt ihn ganz besonders, dass vor allem einer seiner treuesten Schüler von früher, Johann Agricola, zum Vordenker einer überzogenen Gnadenbotschaft wird.

Unser heutiges Jesuswort Was nennt ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage? wird für Luthers Leben ab jetzt ganz wichtig.

Leider hat die spätere evangelische und evangelikale Christenheit oft nur den frühen Luther im Kopf, feiert ihn Jahr für Jahr am Reformationstag und blendet den späten Luther fast völlig aus: „Die Gnade genügt“ höre ich und singen viele landauf-landab und fragen oft viel zu wenig nach den Veränderungen im Leben.

Vor vielen Jahren habe ich es in Minneapolis in der Billy-Graham-Zentrale gewagt, Grahams engsten Mitarbeiter George Wilson zu fragen, warum denn nach einer Evangelisation so viele Menschen nach vorne gehen, aber so wenige später in den örtlichen Gemeinden ankommen. Seine verblüffende Antwort: „Man kann einer Hebamme keinen Vorwurf machen, wenn Eltern ihr neugeborenes Kind verhungern lassen, Evangelisten leisten nur Hebammendienste.“

Und dazu gehört im Sinne Jesu auch die konkrete Anleitung zu einem verbindlichen Leben als Christ. Nicht neue Gesetzlichkeit, aber eine ansteckende Verbindlichkeit im Alltag ist gefragt!

Autor/-in: Pastor Wolfgang Buck