12.02.2012 / Wort zum Tag

Psalm 26,8

HERR, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.

Psalm 26,8

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

Kirchen sind besondere Orte. Sie atmen etwas von der Würde des Ewigen, zu dessen Ehre sie erbaut wurden. In ihrem Innern scheint die Zeit still zu stehen. Manchmal sind sie auch kalt und unnahbar. Einen mitreißenden Gottesdienst feiern viele heute lieber in einem modernen Saal mit viel Glas, bequemen Sitzen und ausgefeilter Präsentationstechnik. Dann kommt das Evangelium in einer Gestalt zu uns, die unserer eigenen Kultur entspricht, und das ist gut so. Gott ist ja kein Gott von vorgestern.

Aber manchmal brauchen wir eben auch den Ort, der anders ist. Und der uns deshalb daran erinnern kann, dass Gott anders ist. Unendlich größer und deshalb immer wieder überraschend. Eine Kirche kann das. Sie predigt auch dann noch, wenn der Gottesdienst längst zu Ende ist. Es gibt Kirchen, in denen fand seit Jahren kein Gottesdienst statt. Aber wenn man sich aufmerksam in ihnen umschaut, predigen sie immer noch. Überall, wo Kirchen geöffnet sind, finden sich regelmäßig Menschen, die hineinschauen. Oft sind es Menschen, die nie in einen Gottesdienst gehen. In ostdeutschen Dörfern, in denen es kaum Christen gibt, helfen plötzlich viele mit, die Kirche zu erhalten und zu erneuern. Sie kennen die Bibel nicht, sie mögen eigentlich auch keine Predigt hören, aber sie wollen, dass die Kirche im Dorf bleibt. Warum ist das so?

Schon zu biblischer Zeit hatte der heilige Ort eine besondere Anziehungskraft. Man spürt es dem Psalmbeter ab, wenn er sagt: „HERR, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.“ Die Liebe zum Tempel ist im alten Israel ein Kennzeichen lebendigen Glaubens. Freilich – der Tempel ist keine Garantie für die Anwesenheit Gottes. Das macht die Bibel ganz deutlich. Manchmal steht hinter der Sehnsucht nach dem heiligen Ort auch der Wunsch, Gott sicher zu haben. So dass man notfalls auf ihn zählen kann, auch wenn man im Leben sonst nicht nach ihm fragt. Aber das ist mit dem lebendigen Gott nicht zu machen.

Trotzdem – es gibt Orte, an denen uns der Zugang zu Gott leichter fällt als anderswo. Wie kommt das, wo Gott doch nach dem Zeugnis Jesu selbst überall gegenwärtig ist? Nach einer alten jüdischen Legende fragen Schüler ihren weisen Rabbi: „Warum gehst du zum Beten in die Wüste, wenn Gott doch überall derselbe ist?“ Der Rabbi antwortet: „Es stimmt: Gott ist überall, und er ist überall derselbe. Aber ich – ich bin nicht überall derselbe. Deshalb gehe ich zum Beten in die Wüste.“ Weil wir Menschen sind, brauchen wir Orte, die es uns leicht machen, Gott wahrzunehmen. Gott wahr zu nehmen. Orte, wo seine Ehre wohnt. Wo sein Wesen spürbar wird. Welche Orte das für Sie sind, wissen Sie selbst besser als ich. Ich wünsche Ihnen, dass Sie einen Ort haben, an dem Sie Gott nahe wissen. Und dass Sie immer wieder zu diesem Ort zurückkehren können.
 

Autor/-in: Martin Leupold