24.01.2012 / Wort zum Tag

Psalm 26,12

Ich will den HERRN loben in den Versammlungen.

Psalm 26,12

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Ich besuchte einen befreundeten Pastor. Seine Gemeinde hatte gerade das Gemeindehaus erweitert und umgebaut. Das Herzstück eines solchen Zentrums ist in der Regel der Raum, in dem die Gottesdienste stattfinden. Als wir diesen Raum betraten, fiel mir direkt gegenüber der Eingangstür an der Stirnseite ein Kunstwerk auf. An der weißen Wand befindet sich ein dunkles Gebilde. Es stellt einen schwarzen Türbogen dar, mit ein paar angedeuteten Treppenstufen. In diesem Türbogen steht hell abgehoben in Lebensgröße eine Christusgestalt. Ich hatte den Eindruck, als käme sie aus dem Dunkeln auf mich zu. Als ich näher hinsah, erkannte ich aber, dass die Figur aus dem dunklen Türbogen ausgeschnitten war. Was hell hervortrat, war die weiße Wand dahinter. Mein Freund erklärte mir, dass ein Künstler, der die Gemeinde besucht, diese Abbildung geschaffen hat. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass ihm in dieser Gemeinde Jesus Christus begegnet ist. Er wünscht sich, dass auch andere Menschen Christus begegnen. Darum hängt sein Werk direkt gegenüber der Eingangstür. Was Roland Lindner, so heißt der Künstler, aber offensichtlich noch ganz wichtig ist, erklärte mir mein Freund so: Es handelt sich um die Begegnung mit einem Christus, der eigentlich gar nicht da ist. Jedenfalls für uns nicht bereits hier sichtbar ist. Dort, wo man die Christusfigur sehen kann, ist ja eigentlich nichts. Es ist nur die Silhouette vorhanden. Das soll, wie mein Freund mir sagte, Christus als den Auferstandenen charakterisieren. Die Begegnung mit dem Christus, der da ist und doch nicht da ist. So paradox das klingt, so sehr hat es mich fasziniert. Es drückt gut die Situation aus, in der wir als Christen stehen. Wir begegnen Christus und doch ist es der Christus, der als der Auferstandene zur Rechten Gottes sitzt.

„Ich will den HERRN loben in den Versammlungen.“ So ruft es unser heutiges Bibelwort aus dem Psalm 26 aus. Dort, in den gottesdienstlichen Versammlungen, soll Gott gelobt werden. Der Künstler Roland Lindner hat das mit seinem Kunstwerk praktisch umgesetzt. Er lobt damit den auferstandenen Christus, der nicht da ist und dem man trotzdem begegnen kann. Nun werden Sie sagen: „Ich bin kein Künstler. Ich werde nie in die Situation kommen, in einer Kirche oder einem Gemeindezentrum ein Kunstwerk zu schaffen.“ Das stimmt. Und ich kann das auch von mir behaupten. Meine Gedanken bei der Hausbesichtigung gingen aber noch weiter. Ein paar Minuten später erklang Musik im Gottesdienstraum. Jemand übte für den nächsten Gottesdienst. Uns begegnete an einer Stelle des Hauses eine junge Frau, die auf dem Weg war, eine Kinderveranstaltung vorzubereiten. In der Küche sah man, dass da Menschen ein und aus gingen, die einige Tage in der Woche für andere eine warme Mahlzeit zubereiteten. Noch vieles mehr wies darauf hin, dass in diesem Haus Menschen mit ihrem Tun Gott loben. Jeder kann das auf seine Art und Weise. Plötzlich tauchen viele Kleinigkeiten und Details auf, die man als Kunstwerke zum Lob Gottes verstehen kann. Die Gemeinde, in der ich Pastor bin, hat keine eigenen Räume. Wir treffen uns sonntags in der Pausenhalle einer Schule zum Gottesdienst. Dazu muss am Sonntagmorgen der Raum hergerichtet werden. Viele helfen mit und gestalten in kurzer Zeit mit wenigen Mitteln eine Atmosphäre, in der das Lob Gottes durch die Gemeinde angestimmt werden kann.

Wenn der Psalmist sagt: „Ich will den HERRN loben in den Versammlungen“, dann drückt er damit auch einen Vorsatz aus. „Ich will. Ich will es wirklich tun.“ Ich halte das für einen guten und notwendigen Vorsatz. „In den Versammlungen“, also vor anderen Menschen, tun wir uns oft schwer, Gott zu loben. Ich mache Ihnen darum den Vorschlag, das heutige Bibelwort als einen solchen Vorsatz aufzugreifen. Was könnte im Hinblick auf den Gottesdienst am nächsten Sonntag Ihr Beitrag zum Lob Gottes sein? Ganz gleich, was es ist, es wird auf seine Art auch ein Kunstwerk sein. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude und Gelingen.
 

Autor/-in: Pastor Michael Höring