29.06.2013 / Wort zum Tag

Psalm 142,4

Wenn mein Geist in Ängsten ist, so nimmst du dich meiner an. Sie legen mir Schlingen auf dem Wege, den ich gehe.

Psalm 142,4

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Ich habe Angst vor der Diagnose des Arztes, sagt die erkrankte Frau. Ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz, vertraut der Angestellte seinem Freund an. Ich habe Angst, dass meine Kräfte immer weniger werden und ich nicht mehr allein in meiner Wohnung bleiben kann, gesteht die alte Dame der Anruferin. Angst gehört zu unserem Leben. Wie anfällig wir für Ängste sind, verrät unsere Sprache. Angst, so sagen wir, beschleicht einen Menschen, überfällt ihn. Wer Angst und Sorgen hat, geht abends mit ihnen schlafen und wacht morgens mit Ihnen auf: „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon wieder da“. Ängste lassen sich nicht abschütteln wie Regentropfen von einem imprägnierten Mantel.

Angst hat auch David, denn er ist in großer Bedrängnis. Sein Verfolger Saul, vor dem er auf der Flucht ist, ist plötzlich in derselben Höhle aufgetaucht, in deren hinteren Teil er sich mit seinen Leuten versteckt hält. Er kann seine Angst nicht für sich behalten, er redet aber nicht ins Leere, sondern zu Gott. Er sagt voll Vertrauen: „Wenn mein Geist in Ängsten ist, so nimmst du dich meiner an“ (Psalm 142,4). Er weiß, an wen er sich in seiner großen Angst wenden muss: an Gott. Ihm sind wir nicht gleichgültig. Er nimmt unsere Ängste und Sorgen hinein in seine Fürsorge.

Die Botschaft von der Fürsorge Gottes hat in Jesus Christus Gestalt angenommen, sein Kreuz und seine Auferstehung sind die deutlichste Beglaubigung für diese Zusage, dass Gott uns mit unseren Ängsten nicht allein lässt. Der auferstandene Christus verheißt uns: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt. 28,20). Unsere Ängste sind nicht einfach weg, aber er ist in unseren Ängsten ganz nah bei uns und hält uns. Wir können nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Es kann sein, dass Christus den Grund unserer Angst wegnimmt und wir ihm dafür danken können. Es kann sein, dass das, wovor wir Angst haben, eintritt – und wir spüren: Christus hält uns jetzt, wo wir nicht mehr weiter wissen. Oft sind ja die schweren Krisen unseres Lebens die Zeiten intensiver Gottesbegegnung.

In unsrem Wohnzimmer hängt ein Holzschnitt von Walter Habdank, den meine Frau und ich zu unserer Hochzeit geschenkt bekamen. Dort sitzt ein Mensch mit ängstlichem Gesicht und abwehrenden Händen, dennoch geborgen, in einer großen Hand. „In Gottes Hand geborgen“ nennt der Künstler seinen Holzschnitt.

Meiner Frau und mir hat dieses Bild immer wieder geholfen, wenn wir Angst hatten. Als meine Frau und ich wussten, dass sie nach menschlichem Ermessen bald sterben würde, da hatten wir immer die Aussage dieses Bildes vor Augen. In all‘ meinen Ängsten bei der Begleitung meiner Frau ins Sterben, in all‘ meiner Angst, sie loslassen zu müssen, in all meiner Angst bei der Frage: "Was wird werden, wenn ich allein bin?", wurde mir immer wieder das Vertrauen geschenkt: „Du nimmst dich meiner an“. In diesem Vertrauen ist auch meine Frau gestorben.

Bei ihrer Beerdigung haben wir dann gesungen, was sie sich für diese Stunde gewünscht hatte und wir oft am Krankenbett gesungen hatten: „ Wellen der Angst kommen auf mich zu, beklemmen und hemmen, nehmen mir die Ruh. Angst vor dem Leben und der Einsamkeit, dem Sterben, dem Alltag und der freien Zeit. Aber der Herr ist immer noch größer, größer als ich denken kann… (Elisabeth und Gerhard Schnitter).

Autor/-in: Superintendent i. R. Rainer Kunick