13.05.2011 / Wort zum Tag

Psalm 139,9-10

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Psalm 139,9-10

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Vor ein paar Tagen erlebte ich im Krankenhaus folgende Szene: Ein kleines Enkelkind besuchte zusammen mit seinen Eltern die Großmutter. Ganz offensichtlich war dieser erste Krankenhausbesuch in seinem Leben für den Kleinen beunruhigend, verunsichernd, machte ihn ängstlich. Der Junge versteckte sich hinter seiner Mutter, und als die Großmutter nach ihm schaute, hatte er ganz fest die Augen zu. Erst als sie fragte: „Ja, habt ihr denn euren Dennis nicht mitgebracht, da taute er auf, riss die Augen weit auf und sagte: „Daaa.“ Und dann konnte sie ihn in den Arm nehmen, und alles war gut.

Irgendwie toll so ein frühes kindliches Entwicklungsstadium, in dem ein kleiner Mensch noch so etwas glaubt. Wie schön einfach wäre das: Einfach Augen zu. Und wir sind nicht mehr da. In der unangenehmen Situation. In der peinlichen Situation. In der schwierigen Situation. In der unmöglichen Situation.

Unserem Gott gegenüber verhalten wir uns als hoch erwachsene Menschen schon mal genauso. Der Psalmbeter in Psalm 139 kennt das. Er weiß: manchmal machen wir dicht, wir machen die Augen zu (sogar mit offenen Augen!) und haben den Eindruck, wir wären weit weg von Gott. Vielleicht wollten wir weglaufen. Vielleicht fühlt es sich an, als wäre er fortgegangen und hätte uns verlassen, zurückgelassen. - Vielleicht fühlen wir uns gerade jetzt in so einer Situation.
Und da ist der Psalmbeter vom Psalm 139. Kraftvoll sagt er: „Und nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Kraftvoll spricht er es sich selbst zu, indem er Gott anspricht.

Selbstzuspruch, ein starker Satz, den ich vor mich hinsage, mir selbst zusage, kann ganz viel Kraft enthalten und entfalten. Es tut gut, solch einen Satz für uns zu haben, etwa: „Ich lasse meine Angst los.“ Das macht ganz viel mit uns. Aber was hier in dem Psalmvers passiert, ist noch viel mehr: Es ist Gebet. Es ist Anschauen, Aufschauen, Hinschauen auf das Gegenüber, den lebendigen Gott. Und die starke Erkenntnis: Du bist da! Wo immer ich bin. Wenn ich dir weggelaufen bin - du bist da. Wenn ich in die Sackgasse geraten bin - du bist da.  Wenn ich mich verlaufen habe - du bist da. Wenn ich mich versündigt habe - du bist da. Wenn nichts mehr geht - du bist da. Im Operationssaal – du bist da. Im Gerichtssaal – du bist da.

Jesus kann das später noch einmal zuspitzen, indem er über uns sagt: „Und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Zuspruch pur, den wir hören und ihn auf uns wirken lassen dürfen. Heute, in meiner Situation, darf ich hören und auf mich wirken lassen: „Du bist da, wo ich hingehe, schon da.“ Vielleicht tut es mir gut, wie das Enkelkind beim Krankenhausbesuch die Augen zu schließen. Für einen Moment. Und damit inne zu halten und auf mich wirken zu lassen und mich hinein zu begeben in diesen Moment: „Du bist da. Jetzt hier. Gleich auch.“
 

Autor/-in: Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg