19.05.2017 / Kommentar

Politik – Geht’s mich was an?

Warum wir mehr über Politik reden dürfen. Ein Kommentar.

Ich falle jetzt mal mit der Tür ins Haus: Mich ärgert es, dass viele Christen Angst davor haben, sich politisch zu äußern. Mich nervt diese „Haltet euch da lieber raus“-Einstellung gegenüber denjenigen, die sich eine politische Meinung zutrauen. Ich kann nicht verstehen, dass wir politischen Themen immer eine Sonderstellung zusprechen.

Sie Lesen noch weiter? Wirklich? Das freut mich. Noch kann ich zu einem weniger kontrovers diskutiertem Thema umschwenken. Oder wenigstens einem, das nicht ganz so weit weg ist.

Wir lassen viele Meinungen zu, nur keine politischen!

Halt, Stopp: Da ist doch schon der Denkfehler. Ja, es stimmt, dass Politik seinen vorgesehenen Platz hat. Doch obwohl Berlin weit weg von Mittelhessen ist, sind Steuersenkungen, Autobahnausbau und Gesundheitsreformen ziemlich nah an mir dran. Entscheidungen, die in Berlin getroffen werden, bestimmen meinen Alltag. Näher an meinem Leben geht es kaum.

Trotzdem beobachte ich unter Christen eine große Ignoranz und sogar Verneinung politischer Themen. Wir tauschen uns über das aktuelle TV-Programm aus, aber nicht über aktuelle Wahlprognosen. Wir können stundenlang über die neuesten Ernährungsratgeber diskutieren, aber nicht über die neuesten Parteiprogramme. Politische Meinungen werden verurteilt und der Austausch darüber erst gar nicht zugelassen. Kurz gesagt: Christen sollen nichts mit Politik zu tun haben. Denn Christen mit politischer Meinung können sowieso keinen klaren Weg gehen, sondern müssen sich verbiegen und Kompromisse finden.

Die Realität, die wir nicht ignorieren können

Auf der einen Seite stimme ich diesem Argument zu. Innerhalb einer Demokratie werden Ideen nur mit Mehrheiten umgesetzt. Die Mehrheit gewinnt man selten mit starren Positionen. Kompromisse müssen eingegangen werden. Natürlich ist es dabei herausfordernd, den eigenen Werten treu zu bleiben. Aber das ist die Realität, in der wir leben. Es bringt nichts, so zu tun, als gäbe es diese Realität nicht. Wir können nichts verneinen, was direkt vor unserer Haustür passiert.

Wer trotzdem konstant verneint und ignoriert, wird irgendwann zum Nörgler. Denn früher oder später werden uns politische Themen einholen. Und dann wird es noch schwieriger darauf zu reagieren, weil wir es nicht gelernt haben. Über das, was wir nicht verstehen, zu nörgeln ist leicht. Doch wer sich heraushält und nicht handelt, wird behandelt. Egal ob Ignoranz oder Nörgeln: Heraushalten kann keine Lösung sein.

Politisches Handeln beginnt im Kopf

Heißt das, dass jeder Christ politisch handeln soll? Genau das heißt es. Jedoch bedeutet politisches Handeln nicht zwingend Mitglied einer Partei zu sein oder immer eine politische Meinung zu vertreten. Politisch Handeln beginnt vielmehr im Kopf: Es geht nicht um die großen Taten oder Meinungen, sondern darum, sich auf politische Themen einzulassen und sie nicht aus der Realität auszuklammern. Es geht darum, der Bibel ihre politische Dimension zu entlocken und nicht jeden Geistlichen, der sich politisch äußert, zu verurteilen.

Unterstützen statt verurteilen, das könnte ein Leitbild für das Verhältnis Christ und Politik sein. Ist das nicht sowieso das Motto, das uns Jesus Christus vorgelebt hat? Ich wünsche mir, dass wir Christen, die sich politischen Herausforderung stellen, genauso begegnen können. Ich wünsche mir, dass wir den Mut nicht denjenigen nehmen, die dafür kämpfen, Kompromisse zu finden. Und ich wünsche mir, dass wir keine Angst mehr vor dem vermeintlich bösen P-Wort haben. So schlimm ist es nämlich gar nicht. 

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

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