06.11.2009 / Wort zum Tag

Philipper 3,13

Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist.

Philipper 3,13

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Bei den Weltmeisterschaften der Leichtathleten, die im August in Berlin stattgefunden haben, konnte man sehen, was Paulus mit „ausstrecken“ meint. Wie sich ein Sprinter ins Ziel stürzt, Arme, Kopf und Brust so weit wie möglich nach vorne gestreckt, um nur ja als erster die Ziellinie zu erreichen, das hat er gemeint. Oft war es nur auf dem Zielfoto auszumachen, wer gewonnen hat, außer bei Usain Bolt, der lief immer allen davon.

Der Lehrtext heute ist eigentlich der zweite Teil eines sehr persönlichen Zeugnisses, das Paulus über seinen Stand als Christ gibt. Er beschreibt und bekennt darin seine eigene Unvollkommenheit. Nur um einige Verse weiter sich selbst und den Philippern wieder zu bestätigen, vollkommen zu sein. Was so widersprüchlich klingt, kann leicht aufgelöst werden: Vollkommen sind die, die um ihre Unvollkommenheit wissen. Das griechische Wort für „vollkommen“ kann auch „vollendet“ bedeuten und hat etwas mit dem Ziel zu tun, das man erreichen soll. Und da weiß Paulus eben, dass er noch unterwegs ist, dass er es noch nicht ergriffen habe, obwohl er schon von Christus ergriffen worden ist. Schon und noch nicht. Mit dieser Spannung muss jeder Christ fertig werden. Dann spricht der Apostel aus, was er eigentlich betonen will: Sein Blick ist nach vorne gerichtet. Er verliert das Ziel nicht aus den Augen. Sein ganzes Leben ist darauf abgestimmt, endlich den Preis des Glaubens zu erhalten, die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.

Der Bibelausleger Werner de Boor schreibt zu dieser Stelle: Das will Paulus der Gemeinde einprägen. „Der Gegner ist nicht der Perfektionismus, sondern der Quietismus“, d.h. die Neigung zu vorschneller Beruhigung und Lässigkeit. Die Nachfolge ist ein Wettkampf. Oft muss ich gegen die Gewalten und Mächte dieser Welt antreten. Noch öfter muss ich mich aber selbst besiegen: Meinen Hochmut, meinen Hang zum Kritisieren, meine Trägheit, meine Lieblosigkeit und vieles mehr. Weil ich noch längst nicht vollkommen bin, obwohl mich Christus ergriffen hat, darf ich auch Fehler machen. Ich darf verzagen und versagen. Ich darf aber auch vergessen, was hinter mir liegt. Die Vergebung durch Christus hat mich frei gemacht von meiner Vergangenheit und für meine Vergangenheit. Ich konnte fleißig mein Leben neu ordnen und lebe täglich von der Vergebung. Jesus spricht sie mir zu. Die Erinnerung an früher bleibt, deshalb vergesse ich auch nicht, was Gott mir Gutes getan hat. Aber ein Läufer kann sich im Wettkampf nicht umdrehen. Und so entspricht dieser Text in seiner Ausrichtung wohl eher dem Wort Jesu: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes“ (Lk. 9, 62). Jeder Tag, den ich erlebe, ist der erste meiner neuen Vergangenheit. Die Aufgabe besteht darin, ihn in Frieden hinter mich zu bringen.

Wann sind wir Christen am Ziel? Jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten. In unserer Jugendgruppe sangen wir oft das Lied „In ihm ist alles, was ich brauch.“ Mit Christus haben wir alles, was wir brauchen. Man könnte meinen, dass damit alles erreicht sei. Alles ist gut, und ich warte nur noch auf die Wiederkunft Christi. Das wäre aber Stillstand. Das wäre das krasse Gegenteil von dem, was Paulus meint. Wie kommen Christen in Bewegung? Es treibt sie ja niemand an. Im Bild des Läufers wird klar: Freiwillig, aber mit aller Kraft versucht der Athlet, das Ziel zu erreichen, um den Siegespreis zu gewinnen. Freiwillig und mit aller Kraft sein Leben als Christ zu gestalten macht Sinn, denn es kommt damit die eigene Überzeugung zutage und die will nur eines: ankommen.
 

Autor/-in: Pastor Peter Dobutowitsch