10.08.2023 / Interview

Ohne Probleme keine Kreativität

Regisseur und Unternehmensberater Manfred Schweigkofler ist überzeugt: Probleme fördern Kreativität.

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Radio-Interview mit Manfred Schweigkofler

Wer zukunftsfähig sein will, muss Neues denken. Davon ist Regisseur, Buchautor und Unternehmensberater Manfred Schweigkofler überzeugt. Schon als Kind hat er sich von zu vielen Regeln eingeengt gefühlt, heute ermutigt er als Unternehmensberater andere, Grenzen im Kopf zu überwinden und „out of the box“ zu denken. Für ihn steht fest: Probleme fördern Kreativität. Und Kreativität macht glücklich. Wir haben ihn dazu interviewt, warum Kreativität wichtig ist, warum Menschen sie dennoch oft verlernen und welche Bedeutung dabei unsere heutige Fehlerkultur spielt.
 

ERF: Haben Sie als Kind beim Ausmalen über den Rand gemalt?

Kreativität hat verschiedene Facetten: Sie ist Gestaltungskraft, Erfindergeist und individuelles Ausdrucksmittel. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas „Kreativität“ haben wir mit Menschen gesprochen, die kreativ arbeiten und mit ihnen über Inspiration, Fleißarbeit und Selbstverwirklichung gesprochen.

Manfred Schweigkofler: Ich glaube, das ist so ein Zug von Kreativen, dass sie nicht einsehen: Warum gibt es diese Regel? Warum gibt es in diesem Schreibheft Zeilen, warum gibt es Kästchen; die engen mich irgendwie ein – also cool wäre schon: darüber hinaus!

Das ist es ja, was kreative Menschen ausmacht. Sie tun sich schwer, Vorgefertigtes zu akzeptieren und denken: Was wäre, wenn man hier darüber hinausginge?

Wer Neues entdecken will, macht Fehler

ERF: Nun machen Sie auch Unternehmensberatung. In einem Unternehmen ist es nicht so schön, wenn alle immer über den Rand malen. Wie kommt nun Kreativität in ein Unternehmen, sodass es passt und es trotzdem verbindliche Regeln gibt?

Opern- und Theaterregisseur, Autor und Unternehmensberater Manfred Schweigkofler (Copyright: Manfred Schweigkofler)

Manfred Schweigkofler: Wir sind in einer neuen Zeit angekommen. Diese neue Zeit braucht neue Methoden und Werkzeuge, ohne dass wir die alten über den Haufen werfen. Das heißt Organisation und Projektmanagement, das hat gut funktioniert und wird auch weiterhin gut funktionieren.

Aber 50 Prozent des Weltumsatzes wird heute mit Produkten gemacht, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Hälfte des Weltumsatzes 2040 mit Produkten und Dienstleistungen gemacht werden wird, von denen wir heute noch keine Ahnung haben.

Wir müssen neue Welten denken, um am Ball zu bleiben: neue Möglichkeiten, neue Produkte und neue Dienstleistungen. Dazu braucht es die Kreativen, die sagen: Bis heute haben wir es so gemacht, werfen wir das Ganze mal über den Haufen und schauen, was dabei rauskommt.

Und da gibt es bei ganz vielen Firmen Nachholbedarf; diese Denke ist nicht installiert. Diese Kultur, über den Rand hinauszudenken, auch Fehler zu machen.

Das ist ja die natürliche Folge. Wenn ich Neues entdecken will, muss ich Fehler machen.

Ich sage Unternehmen: Macht weiter, was ihr gut gemacht habt. Aber beginnt langsam mit den richtigen Freigeistern zu denken: Was wäre, wenn. Da beginnt Kreativität.
 

ERF: Haben Sie ein Beispiel, an dem Sie das festmachen können? Wo das gelungen ist?

Manfred Schweigkofler: Ich denke da an ein großes börsennotiertes Unternehmen. Sie sind Weltmarktführer. Als es darum ging, deren Zielbild 2030 zu entwickeln, wurde ich geholt, weil der Chef wirklich ein völlig neues Muster wollte. Der sagte zu mir: „Wir sind am Weltmarkt führend, wir wissen alles, wenn die Welt linear sich weiterentwickelt, da sind wir gut vorbereitet. Aber: Hilf uns dabei, eine Welt zu denken, die völlig neu daherkommen könnte.“

Ich bin dann in die Sitzung hinein und habe gesagt: „Ihr müsst daran denken, dass wir für die Zukunft neue Materialien haben werden. Wir werden mit Energie anders umgehen in 10 Jahren, also denken wir mal, was möglich wäre.“ Ich habe dann deren Produkte in Raumschiff Enterprise-Fotos hineingestellt und die Farben verändert. Dadurch wurde deutlich: Wir dürfen tatsächlich neu denken.

Warum unser „Kreativitätsmuskel“ verkümmert

ERF: Sie haben ein ganzes Buch geschrieben, „Inspire“ – Inspiriere. Es ist ein Fanal für Kreativität, für Begeisterung, und Sie schreiben im Vorwort, dass es leider zu wenig Begeisterung und zu wenig Inspiration gibt und die zurück muss. Warum?

Manfred Schweigkofler: Wir wissen, dass alles, was wir mit Begeisterung tun, uns nicht nur glücklich macht, sondern uns meistens auch gelingt. Das hat damit zu tun, dass jeder Mensch Begeisterungsfähigkeit für gewisse Dinge in sich hat. Bei dem einen ist es, anderen Menschen zu helfen, bei einer anderen ist es, etwas zu gestalten oder zu tanzen oder Technik.

Wir alle sind unterschiedlich und haben unterschiedliche Fähigkeiten und Begeisterungs-Passionen. Begeisterung-Passionen ist ein blödes Wort, aber es gibt kein richtiges. Wir haben diese intrinsischen Gelüste, die uns auch bei der Arbeit helfen. Und wenn wir eine Arbeit finden, bei der wir das, was wir gerne tun, tun dürfen, sind wir glückliche Arbeitnehmer. Dann sind wir glückliche Menschen, die das nicht mehr als Arbeit empfinden, sondern als Freude.
 

ERF: Fast alle Kinder malen und haben Freude daran. Dabei entstehen typische Kopffüßler und völlig unproportionierte Dinge. Diese Kreativität geht uns meist irgendwann verloren und dann sagen Menschen: „Nee. Malen kann ich nicht.“ Was ist da passiert?

Manfred Schweigkofler: Als Kinder sind unsere Synapsen im Gehirn wunderbar vernetzt. Sie sind da und die Informationen fließen kreuz und quer und es ist völlig plausibel, wenn ein kleines Kind auf einem zu großen Fahrrad sitzt. Jetzt kommt aber die Schule und die Erziehung und die sagt: „Das geht nicht, das tut man so nicht, das muss anders sein.“

Auf diese Art und Weise lernen wir, was richtig und was falsch ist. Das ist fatal, denn so wird die Hirnhälfte, in der die Kreativität angesiedelt ist, sukzessive reduziert und sogar als falsch und unnütz abgetan. Deshalb wird dieser „Kreativitäts-Muskel“ einfach nicht mehr trainiert, ein Jahr nicht mehr, zwei Jahre nicht mehr und mehr.

Die ganze naturwissenschaftliche Abteilung im Hirn wird wunderbar trainiert, nur die musischen Bereiche des Hirns, die liegen brach. Deshalb kommt dann ein Mensch mit 20 und sagt: „Nein, zeichnen kann ich nicht“, weil er das etliche Jahre nicht mehr getan hat. Weil er gehört hat: „Das ist nicht brauchbar. Das ist nicht seriös, das ist kindisch.“ Wir kastrieren uns da selbst, wir lassen unsere Kreativität verkümmern.

Von Fehler zu Fehler vorwärtstasten

ERF: Sie stellen im wahrsten Sinne ganze Opern auf die Beine. Da fangen Sie sicher mit dem Libretto, der Notenpartitur, also weißen Blättern mit Text an – wie entsteht daraus eine Oper?

Manfred Schweigkofler: Ich beginne tatsächlich nicht beim Libretto, sondern ich höre mir die Musik an und achte auf die Schwingungen, die diese Musik bei mir freisetzt. Was erzählt sie mir? Welche Stimmung kann ich da heraushören?

Manchmal ist es auch so, dass ich die Geschichte überhaupt nicht kenne. Also lese ich mir die Geschichte durch. Dann entstehen langsam Bilder und da muss ich so lange warten, bis Bilder entstehen. Ich will das nicht forcieren.

Deshalb müssen wir, wenn wir kreativ arbeiten, auch lange Zeiten einkalkulieren. Ich muss ja dem Gehirn die Zeit lassen, das Ganze zu verarbeiten. Das kommt dann schon zu Lösungen, aber Kreativität beginnt immer damit, dass das Gehirn gefüttert wird mit einem Problem. Ohne Probleme gibt es keine Kreativität.

Des Weiteren suchen wir nach Assoziationen, die uns helfen können, unsere Ideensammlung zu komplettieren. Und dann schauen wir uns das Ganze an. Macht die Story in diesem Kontext Sinn? Wie würde die Story heute erzählt werden? Wir produzieren eine ganze Myriade von unnützen Ideen, aber ab und zu macht es „Klirr“ und dann wissen wir, das ist gut. Das sagt einem dann das Bauchgefühl, dass man hier richtig ist. So tasten wir uns vorwärts von Fehler zu Fehler.

Für Fehler gibt es große Vorbilder

ERF: Das Wort Fehler spielt für Sie offensichtlich eine große Rolle und ist wie ein roter Faden, der sich durch unser Gespräch zieht.

Manfred Schweigkofler: Auch bei Leonardo da Vinci kam am Anfang nicht die Mona Lisa heraus. Leonardo war die ersten Jahre seines Lebens in der Werkstatt des Verrocchio und hat tonnenweise Engelhaare gemalt. Etwas anderes durfte er nicht machen. Bis Verrocchio gesehen hat: „Hey, der Junge kann was.“ Aber der hat zunächst einmal gelernt.

Man braucht sich nur anschauen, wie viele Skizzen Leonardo gemacht hat. Der hat den Vogelflug nicht bei der ersten Skizze durchschaut, es waren hunderte, tausende von Fehlern. Ich betone das deshalb, weil wir eine Gesellschaft geworden sind, in der Fehler als schlimm betrachtet werden.

Auch hieran ist die Schule schuld, weil sie einen Defizit-Blick installiert hat und nicht mehr den Potential-Blick. Das Feld der Kreativität ist aber das Feld der Welt, die wir noch nicht kennen. Wenn ich den Kontinent Südamerika entdecken will, muss ich in Kauf nehmen, dass mancher Weg, den ich mit der Machete durch den Urwald schlage, nirgendwo hinführt. Dann muss ich zurückgehen und einen anderen Weg versuchen. Aber es geht nur über versuchen und Fehler machen.

Das Feld der Kreativität ist aber das Feld der Welt, die wir noch nicht kennen.

ERF: Sie sind Christ und sagen, der Enthusiasmus, den Sie wecken möchten, hat eine griechische Wurzel „en Theos“ – ganz aus Gott. Erklären Sie mal, was Sie damit meinen?

Manfred Schweigkofler: Begeisterung – das kommt von begeistern. Der Ursprung davon ist, dass wir so wirklich den „ruach“ eingepflanzt bekommen. Das heißt, wenn wir inspiriert sind, ist da auch der Geist Gottes, der in uns drinnen arbeitet.

Das Wort Passion kommt wiederum vom Lateinischen „patiere“. Das bedeutet leiden. Also man ist bereit für eine Sache zu leiden, die einem wertvoll ist. Das ist schlussendlich das Wort, das auch für die Passion Christi am Kreuz verwendet wird. Da ist ein Mensch bereit zu leiden für das, was ihm am liebsten ist. Das ist Passion, das ist Begeisterung, das ist Leidenschaft. Da steckt nicht von ungefähr auch das Wort „leiden“ drin und eben „en theos“. Wenn ich enthusiastisch bin, befinde ich mich in der Phase der größten Freude.

Entdecke dein einmaliges Potenzial

ERF: Wo fange ich an, wenn ich ab heute kreativ sein will?

Manfred Schweigkofler: Einfach bei dem, was dir Freude macht. Dir etwas zugestehen, was du dir normalerweise nicht erlaubst. Etwa, den Weg zur Arbeit umgekehrt gehen und neue Dinge entdecken. Mal schauen, wo du da landest. Die Stadt neu erkunden, die Klänge neu hören, die Menschen neu anschauen.

Dann wird Neues entstehen und das ist Kreativität. Kreativität endet nicht in der Mona Lisa, sondern kreativer Lebensstil bedeutet jeden Tag zu versuchen, in diesen kreativen Wohlstand auch hineinzukommen, sich mal etwas anderes zu gönnen.
 

ERF: Sie sagen von sich selbst, Sie sind ein Stichflammen-Geber …

Manfred Schweigkofler: Ich inspiriere gerne, ich bin ein Ermutiger. Ich habe gemerkt, wie das Menschen Freude macht. Wenn sie so einen Kick bekommen, wenn man ihnen Mut zuredet und sagt: „Glaube doch, dass du das kannst. Glaube doch, dass du nicht perfekt sein musst.“

Das ist in einer Welt, in der so viel Perfektionismus von uns verlangt wird, mein Beitrag, den ich geben kann, weil ich es auch gerne tue. Weil ich Menschen mag und einfach Potential-Entfalter sein möchte.

Ich lade Menschen gerne ein: „Schau auf dein einmaliges Potenzial. Ich bin nicht sicher, ob du da schon alles, was in dir steckt, entfaltet hast. Vielleicht ist da noch mehr drin. Wenn nichts kommt, ist halt nichts gekommen. Aber wenn da was ist, was du nicht entfaltest, weil du da nicht hinschauen willst, wäre es schade.
 

ERF: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Autor/-in: Andreas Odrich

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