10.05.2018 / Wort zum Tag

Nicht verwaist

Jesus spricht: Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.

Johannes 14,18

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Es war die Zeit, in der Jesus seine Jünger darauf vorbereitete, dass er bald die Erde verlassen würde, um zu seinem himmlischen Vater zu gehen. Er hatte auch davon gesprochen, dass ihn einer seiner Mitarbeiter verraten würde und dass einer seiner engsten Vertrauten in entscheidender Stunde nicht den Mut haben würde sich zu ihm zu bekennen. Er würde ihn verleugnen. Das waren keine erfreulichen Aussichten. Die Jünger waren erschrocken. Als Jesus das merkte, machte er ihnen Mut und sagte: Seid ohne Sorge und habt keine Angst. Vertraut auf Gott und vertraut mir. Denn im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Ich gehe hin, um dort alles für euch vorzubereiten. Ich gehe bald. Nur noch kurze Zeit bin ich bei euch.

Abschied nehmen tut weh. Ich erinnere mich eines Onkels, den die ganze Familie sehr lieb hatte. Er war nach dem Krieg nach Amerika ausgewandert. Von Zeit zu Zeit kam er zu Besuch nach Deutschland. Das waren immer schöne Wochen, aber bereits nach wenigen Tagen fing einer aus der Familie an, daran zu erinnern, dass die Freude des Zusammenseins nur von kurzer Dauer sein würde. Tatsächlich verging die  gemeinsame Zeit  sehr schnell. Dafür sorgten auch interessante Ausflüge, Besichtigungen, frohe Nachmittage und Abende. Doch dann kam der Abschied. Einige begleiteten ihn zum Flughafen. Bevor er zum Gate ging, sagte er: „Seid nicht traurig, in zwei Jahren komme ich wieder.“ Er winkte noch einmal und wir standen wieder allein.

Ungleich schmerzlicher, zugleich aber auch rätselhafter, war der Abschied Jesu für seine Jünger, als er ihnen sagte: Ich lasse euch nicht als Waisenkinder zurück. Ich komme wieder zu euch. In der Welt wird mich bald niemand mehr sehen. Ihr aber werdet mich sehen. Wer sollte das verstehen? Der Onkel sagte: In zwei Jahren komme ich wieder. Jesus verzichtete auf eine Zeitansage. Dafür sprach er von einer wunderbaren, bis dahin nicht bekannten Zukunft. Nicht  mal ahnen konnten die Jünger, was ihrer wartete.

Jesus wusste, dass er sterben würde. Danach würde keiner ihn mehr sehen, mit einer Ausnahme: seine Jünger. Sie werden Zeugen sein, dass er den Tod überwindet, dass er auferstehen und dann für kurze Zeit sichtbar sein würde, um dann in die unsichtbare Wirklichkeit Gottes, den Himmel, einzutreten. Ich habe Verständnis dafür, dass viele Menschen unserer Tage sich sträuben, solchem Geschehen Glauben zu schenken. Bald, sagte Jesus, würde „die Welt“ ihn nicht mehr sehen, seinen Körper aus Fleisch und Blut. Der werde nämlich verwandelt. Die Jünger erfahren: Jesus bekommt eine andere, eine neue Existenz. Er lebt jenseits des Todes weiter. Wer  seiner Voraussage Vertrauen schenkt, wird die Erfahrung machen, dass Jesus im Glauben zu sehen ist. „Die Welt“, also Menschen, die so tun, als gäbe es keinen Gott, sehen nichts. Glaubende jedoch sprechen zu Jesus, sprechen mit Jesus, so als wäre er neben ihnen. Dass das keine fromme Einbildung ist, bezeugen viele Menschen, die eine Christuserfahrung gemacht haben. Sie erleben, dass bis heute gilt, was Jesus sagte: Ihr sollt nicht wie Waisenkinder in dieser Welt leben. Ihr könnt mit mir rechnen. Menschen, die das erfahren haben, sagen und singen: „Nahe bei Jesus, o Leben so schön.“

Es ist viel Leid und Kummer in dieser Welt. Manche fühlen sich – wie man so sagt – von Gott und der Welt verlassen. Schon die Jünger damals wollten wissen, warum sich Jesus nicht der ganzen Welt zu erkennen gibt. Seine Antwort: Ich gebe mich nur denen zu erkennen, die mich lieben und nach meinem Wort leben (Johannes 14, 23).

Vielleicht hilft zum besseren Verständnis dieses Bibelwortes eine Erfahrung aus unseren Tagen. Amara, eine junge Frau aus Somalia, hate durch Bibellesen zu Christus gefunden. Familie und Islamgelehrte wollten sie mit Gewalt zum Islam zurückführen. Obwohl sie wusste, dass sie damit zu rechnen hatte, ermordet zu werden, hielt sie an ihrem Jesus-Glauben fest. Es gelang ihr heimlich, eine Buskarte zu kaufen. Sie wollte weit weg von zuhause. Nach zwei Stunden Fahrt hatte der Bus eine Panne. Sie fühlte sich wie ein Waisenkind, von Jesus verlassen. Da erinnerte sich Amara an eine christliche Freundin und deren Beten. Auch sie betete nun. Sie bat Jesus sich ihr zu bezeugen und sie zu beschützen. Im gleichen Augenblick spürte sie etwas wie eine Hand auf ihrer Schulter und hörte eine Stimme: „Ich bin wirklich, ich bin die Wahrheit. Du kannst an mich glauben.“ Amara blickte um sich, aber da war niemand. Dann vernahm sie Freudenschreie von draußen. Es war den Leuten gelungen, den Bus nach der Panne wieder flott zu machen. „Meine Gebete wurden erhört“, flüsterte sie. „Ich bin gerettet“. (Stimme der Märtyrer, Juli 2017).

Autor/-in: Horst Marquardt