15.07.2024 / Bibel heute

Neue Gesetzestafeln

Und der HERR sprach zu Mose: Haue dir zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, dass ich die Worte darauf schreibe, die auf den ersten Tafeln standen, welche du zerbrochen hast. Und sei morgen bereit, dass du früh auf den Berg Sinai steigst und dort zu mir trittst auf dem Gipfel des Berges. Und lass niemand mit dir hinaufsteigen; es soll auch niemand gesehen werden auf dem ganzen Berge. Auch kein Schaf und Rind lass weiden gegen diesen Berg hin.[...]

2. Mose 34,1–10

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„Und der Herr sprach“ – damit beginnt etwas Neues in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Gottes Sprechen ist schöpferisch. Wenn er spricht, dann geschieht es. So war es bei der Erschaffung der Welt: „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Und so war es bei Gottes Anfang mit denen, die an ihn glauben, ihm gehorchen und ihm nachfolgen, als Gott zu Abraham sprach. Später sprach Gott zu Mose am Dornbusch – der Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Gott sprach zu Maria – der Anfang der Geschichte der Kirche.

„Und der Herr sprach“ - wo hat Gott in Ihr Leben hineingesprochen? Und was ist seitdem neu geworden? Was hat sich verändert? Was hat Gott verändert? Wie weit bin ich gekommen auf diesem Weg, auf den Gott mich berufen hat? Vielleicht ist ja da auch etwas ins Stocken geraten und auf der Strecke geblieben? Braucht es vielleicht einen neuen Anfang? Dann ist unser heutiger Text genau das Richtige für Sie. Denn „der Herr sprach“. Im heutigen Text ist solch ein neuer Anfang nach einem missglückten Start gewesen. Denn der erste Versuch Gottes, mit dem Volk Israel einen Bund am Sinai zu schließen, scheiterte. Mose kam erfüllt mit Glaubenskraft und der Erfahrung von Gottes Gegenwart vom Berg zurück und musste ansehen, wie sich sein Volk einen anderen Gott, einen Götzen, erschaffen hatte und anbetete und er zerschmetterte die Gesetzestafeln als Sinnbild dafür, dass das Vertrauen zwischen Gott und seinem Volk zerbrochen war. Zerbrochenes Vertrauen ist schwerwiegend. Das sind richtig tiefe Wunden. Da entstehen Abgründe, die Menschen trennen oder Gott und die Menschen trennen. Da hilft dann kein Pflaster, helfen keine schönen Worte, keine vordergründigen Entschuldigungen. Da bedarf es einer Aufarbeitung, die tief in die Wunden reingeht und sie reinigt. Da braucht es Zeit, um wieder neues Vertrauen wachsen zu lassen, um neue Erfahrungen zu sammeln, die Mut machen und Hoffnung geben, dass es wieder einen Neuanfang geben kann. Und dann - irgendwann ist die Zeit reif, die Beziehung ist wieder reif für einen Neuanfang. Und wenn Gott spürt, die Zeit ist reif, dann spricht er: „und der Herr sprach“. Ein neues Kapitel kann aufgeschlagen werden, ein Neuanfang: „Mose, haue dir zwei steinerne Tafeln zu!“

Kennen Sie missglückte Anfänge, zerbrochenes Vertrauen, Scherbenhaufen? Und was kam dann? Abkehr, Verurteilung, Selbstmitleid, Isolation oder Konfrontation? Oder das Zeitnehmen für die Wunden, die eigenen und die des anderen. Das Zeitnehmen für Geschichten, Empfindungen, Verletzungen und das Aufarbeiten, das Verstehen im eigenen Herzen und im Herzen des anderen. Zeitnehmen für Einsicht, Reue und Umkehr und Zeit für Vergebung und Annahme. Wenn wir solche Wege des Verarbeitens nach einem misslungenen Start gegangen sind und nicht bei Konfrontation oder Selbstmitleid stehen geblieben sind, dann braucht es noch etwas Zeit, aber dann dürfen wir damit rechnen, dass Gott wieder von sich Reden macht: „und der Herr sprach“.

Denn so ist Gott, wie ein starker Magnet zieht es ihn immer wieder neu zu den Menschen, seinen Geschöpfen. Er bleibt nicht beim gescheiterten Versuch einer sich anbahnenden Beziehung stehen. Er investiert immer wieder neu in sein Gegenüber, uns Menschen, bis er zu seinem Ziel kommt: unserem Herzen.

Missglückte Anfänge und immer wieder Neustart – das blieb auch das Grundmuster in Gottes weiterer Geschichte mit seinem Volk. Ein ständiges Auf und Ab. Und immer wieder hat der Magnet von Gottes Liebe sich zu den Menschen hingezogen gefühlt und wenn er spürte, dass die Zeit reif war für einen Neuanfang, dann sprach Gott wieder zu den Menschen und begann wieder von vorn. So ist Gott. Bis heute und genau so lernen wir ihn auch in unserem Leben kennen als den, der unermüdlich neu mit uns anfängt, verlorenes Vertrauen wieder aufbaut, indem er sich in uns Menschen investiert. Die Hingabe seines Sohnes ist ein Paradigma dafür, wie Gott handelt in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Er öffnet uns den Weg zu einem immerwährenden Neuanfang, wo unsere Beziehung zu Gott über Scheitern und Neuanfänge hindurch immer tiefer wird, ehrlicher und mit der Zeit auch tragfähiger. Unser Glaube wächst durch Anfechtungen und Zweifel immer wieder zu neuer Tiefe. So auch bei Mose. Bei seinem ersten Empfang der Gebote auf dem Sinai ging Mose hinein in die Wolke von Gottes Gegenwart und empfing die Gebote und viele Anweisungen zum kultischen Gottesdienst in der Wüste. Bei seinem zweiten Empfang der Gesetzestafeln erfahren wir zwar auch, dass Mose die Gebote und kultische Anweisungen erhielt, aber erst am Ende. Mose trat in die Wolke von Gottes Gegenwart hinein und Gott ging an Moses Angesicht vorüber und Mose begann Gott anzubeten: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue bist du, der tausenden Gnade bewahrt und vergibt die Sünde … und Mose neigte sich zur Erde und betete an“.

Eine Entscheidung für Gott, ein Bund mit Gott ist kein formelles Ritual, sondern ist immer Begegnung mit dem lebendigen Gott und das führt in die Anbetung. Manchmal braucht es immer wieder Neuanfänge, um tiefer zu verstehen und Gott neu zu entdecken. Philipp Mickenbecker, der deutschlandweit bekannte Youtuber, dessen letzte Lebenswochen als Dokumentation vor einem Jahr in die Kinos kam, fand in den Martyrien der Chemotherapie zum Glauben und konnte wieder gesund werden. Doch kaum, dass er wieder Filme drehen und Projekte angehen konnte, war sein neu entdeckter Glaube Schall und Rauch. Bei seiner zweiten Krebsdiagnose fand er schließlich wieder zu Gott zurück und wurde jetzt sogar durch Gebet geheilt, aber sein Glaube blieb - kaum wieder im Youtube-Geschäft zurück – im Alltag auf der Strecke. Erst bei der dritten Krebsdiagnose gab es bei ihm eine endgültige Hinwendung zum Glauben. Gottes Weg mit seinem Volk Israel war kein geradliniger und auch unsere Wege mit Gott kennen missglückte Anfänge, Abbrüche und Neuanfänge. Aber die Gegenwart Gottes in dieser Welt und in unserem Leben und seine Liebe zu uns, stark wie ein Magnet, sind der Garant, dass wir auf unserem Weg im Glauben nicht stehenbleiben müssen, sondern weitergehen dürfen.

Autor/-in: Pfarrer Dr. Christoph Rymatzki