21.04.2018 / Interview

Musik gegen Bomben und Gewalt

Als der Krieg in Syrien ausbricht, ändert sich Aeham Achmads Leben radikal. Mutig wirkt er mit seiner Musik dem Grauen entgegen.

Pianist Aeham Achmad beim Konzert in Frankfurt (Foto: Heike Knauff-Oliver / ERF Medien)

Als der Pianist aus den Trümmern oder der Klavierspieler aus Yarmouk − so wurde Aeham Achmad bekannt. Die Bilder und Videos seiner Auftritte in den zerbombten Ruinen seines Heimatortes gingen um die Welt. Für den IS ist Musik Sünde. Aeham muss fliehen. Heute lebt er als Migrant  in Deutschland. Seine Freunde im Kriegsgebiet hat er nicht vergessen. Immer wieder ist es seine Musik, die Menschen tröstet und ermutigt. Ihm selbst hat sie buchstäblich das Leben gerettet.

Die Bilder von seinem zerstörten Zuhause, der zerbombten Stadt und der 12-jährigen Senap, die neben seinem Klavier erschossen wurde, gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Unaufhörlich berichtet er und macht mit seinem Buch und seiner Musik auf die Missstände aufmerksam. „Wir haben euch nicht vergessen, ihr Brüder und Schwestern in Yarmouk“, das ist seine Botschaft an die Zurückgebliebenen. Alle seine Auftritte und Konzerte sind ihnen gewidmet – denen, die weiterhin in der Hölle des Krieges ausharren müssen. Wenigstens Hoffnung will er ihnen geben. In seinem Buch „Und die Vögel werden singen“ erzählt er von den Menschen, von seiner behüteten Kindheit, vom Beginn des Krieges und von seiner lebensgefährlichen Flucht nach Deutschland. Nach einem Konzert  spricht er mit ERF Medien über seine Botschaft der Hoffnung:

ERF: Aeham Achmad, in Ihrem Buch „Und die Vögel werden singen“ erzählen Sie Ihre Geschichte. Sie sind der Pianist aus den Trümmern. Was bedeutet Ihnen diese Geschichte und die Veröffentlichung dieses Buches? Welche Botschaften sind Ihnen besonders wichtig?

Aeham Achmad: Alles bedeutet mir sehr viel: Ich will etwas weitergeben über Syrien, über Yarmouk. Ich will erzählen, warum das dort der Horror ist, warum man zum Flüchtling wird und sein Land verlassen muss. Ich will erklären, warum wir dort in Syrien nicht mehr leben können. Die jungen Leute müssen entweder in die Armee oder ins Gefängnis. Wenn man nicht kämpfen und nicht gegen seine eigenen Landsleute angehen will, dann muss man das Land verlassen. Da gibt es keine andere Wahl.
 

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Interview, Konzert- und Buchausschnitte (Länge: 19:28 min)

Syrien ist nicht sicher. Wir können da nicht mehr bleiben. Das schreibe ich in meinem Buch. Es gibt Leute, die sagen: „Alles ist doch gut, die Flüchtlinge können doch zurückgehen. Assad sagt doch, es sei gut.“ Nichts ist gut und nichts ist sicher, vielleicht ist Damaskus etwas sicherer. Aber die meisten Orte sind so gefährlich, dass man da nicht mehr leben kann. Von außen sieht alles vielleicht ganz gut aus, aber wenn man dort ist, sieht es anders aus. Diese AFD Politiker, die dort die Regierung in Damaskus besucht haben und danach sagen, dass in Syrien doch alles in Ordnung und sicher sei – das ist falsch. Nichts ist sicher. Viele Orte stehen noch unter Beschuss. Wie kann ich nach Yarmouk zurückgehen, wenn es bombardiert wird? Ich kann nicht zurückgehen. Sie haben mein Haus bombardiert. Ich werde sofort festgenommen, wenn ich zurückgehe. Ich hätte dort keine Chance.

Nichts ist gut und nichts ist sicher, vielleicht ist Damaskus etwas sicherer. Aber die meisten Orte sind so gefährlich, dass man da nicht mehr leben kann. – Aeham Achmad

„Ihr seid nicht vergessen!“

ERF: Wie kann man den Menschen in Yarmouk Hoffnung geben?

Aeham Achmad: Ich denke, Hoffnung ist nicht nur wichtig für Yarmouk; es ist für alle Menschen, die bleiben mussten, besonders für die Kinder im ganzen Land. Wenn wir sagen „Wir sind mit euch!“, dann bedeutet ihnen das viel. Wenn die Menschen hier in Europa sagen: „Aeham, wir hören dich, wir mögen deine Musik!“, dann ist das auch für sie. Meine Auftritte und Treffen mit Menschen poste ich im Internet und zeige so den Menschen dort, dass sie nicht vergessen sind. Ich zeige Fotos und Kommentare meiner Abende. Das ist die Botschaft: „Wir sind mit euch“. Wenn ich meinen Freunden schreibe, wir haben über die Situation in Ost-Ghuta gesprochen, dann zeigt ihnen das: Sie sind nicht vergessen. Es ist wichtig für sie. Das gibt ihnen ein bisschen Hoffnung, Trost und Unterstützung.
 

ERF: Welche Botschaft sollen Migranten in Deutschland erhalten?

Aeham Achmad: Dass wir zeigen: „Wir können das schaffen!“ Die Kanzlerin Angela Merkel sagt: „Wir schaffen das!“ Das geht, wenn es alle wollen und mitmachen. Ich glaube daran. Wir, die Migranten aus Syrien, wollen arbeiten, wir wollen uns in der deutschen Gesellschaft einbringen. Ich habe jetzt zwei Jahre ohne Unterstützung des Jobcenters gelebt. Ich habe Freunde, die arbeiten Vollzeit und zahlen Steuer. Wir sind klug und gut ausgebildet, wir können etwas tun.

Viele sagen, die Migranten leben von unseren Steuern, von unserem Geld − das ist nicht richtig. Ich spreche noch wenig Deutsch, aber ich gebrauche die internationale Sprache der Musik – ich spiele Piano und gebe Konzerte. Wir brauchen nur nach alldem, was wir erlebt haben, etwas Zeit zum Durchatmen. Gebt uns eine Pause! Wir wollen nicht nur von Sozialhilfe, von deutscher Unterstützung leben, wir wollen einen Beitrag leisten. Ich habe viele syrische Freunde, die sehr gut Deutsch sprechen. Sie haben in zwei Jahren so viel gelernt wie manche andere in zwanzig Jahren. Wir brauchen eine Chance. Ich denke: Wir schaffen das!

Wir brauchen nur nach alldem, was wir erlebt haben, etwas Zeit zum Durchatmen. Gebt uns eine Pause! Wir wollen nicht nur von Sozialhilfe, von deutscher Unterstützung leben, wir wollen einen Beitrag leisten. – Aeham Achmad

© Heike Knauff-Oliver / ERF Medien - Aeham Achmad beim Interview

© Aeham Achmad - Aeham Achmad vor der Palästinenser-Flagge

© Aeham Achmad - Aeham Achmad in den Straßen von Yarmouk (1)

© Reuters / A. Ismail - Syrien im Krieg

© Aeham Achmad - Aeham Achmad singt mit Kindern

© Aeham Achmad - Aeham Achmad in den Straßen von Yarmouk (2)

© Aeham Achmad - Aeham Achmad singt mit Leidenschaft

© Aeham Achmad - Aeham Achmad Portrait

© Aeham Achmad - Aeham Achmad spielt in Deutschland

© Aeham Achmad - Aeham Achmad: Der Künstler und sein Instrument

© Aeham Achmad - Aeham Achmad mit Keyboard unterwegs

© Aeham Achmad - Aeham Achmad im Konzert

„Wir sind alle Botschafter unseres eigenen Landes“

ERF: Sie haben, wie viele andere, in Deutschland gezwungenermaßen eine neue Heimat gefunden, welche Botschaft haben Sie für die Deutschen?

Aeham Achmad: Ich kann kein Botschafter für die Deutschen sein. Ich kann nur für meine eigenen Leute sprechen. Ich denke, wir sollten so viel sagen wie: Wir dürfen unsere Kultur und unsere Vergangenheit nicht vergessen. Die jungen Menschen in Deutschland sind großartig, aber sie tendieren dazu, ihre Kultur und ihre Geschichte zu vergessen. Sie nutzen ihre eigene Kultur zu wenig. Wenn ich über Syrien erzählen soll, dann könnte ich das unaufhörlich tun. Darüber weiß ich so viel, obwohl auch ich dort als Palästinenser nur ein dort geborener Flüchtling bin.

Wenn ich Jugendliche in Deutschland frage: „Kennt ihr: ˏDie Gedanken sind freiˊ?“, dann kennen viele dieses wunderbare Volkslied nicht. Sie kennen mehr englische, amerikanische Lieder, das ist schade. Als Flüchtlinge in den Integrationskursen lernen wir mehr über Deutschland, als viele Deutsche selbst über ihr Land wissen. Fragt man norddeutsche Menschen, wo Aschaffenburg liegt, dann wissen sie das nicht. Sie sagen: „Das weiß ich nicht.“ Sie kennen ihre eigene Geografie und ihre Geschichte nicht. Über Amerika und amerikanische Musik und Kultur wissen sie mehr als über ihr eigenes Land. Wir Ausländer wissen manchmal mehr über euer Land, über Deutschland. Das ist nicht gut. Wir sind alle Botschafter unseres eigenen Landes. Kultur heißt nicht nur ein Buch zu lesen und Musik zu hören. Kultur ist in dir. Hier in Deutschland wird mehr amerikanisch gelebt. Alle hören englische Musik. Das ist schade!

„Wir lebten friedlich beisammen“

ERF: Welche Rolle spielt für Sie die Religion?

Aeham Achmad: Ich habe viele Verbindungen zu Christen, zu christlichen Freunden. Deutschland ist das Land der Christen. Ich spiele in ganz vielen Kirchen. Benefizkonzerte finden meist in Kirchen statt. Ich habe jede Woche mehrere Konzerte, fast jeden Tag. Ich bin sehr glücklich, dass ich das tun darf. Mein Name ist Aeham Ahmad und ich bin Muslim. Ich komme in die Kirche und mache Konzerte für den Frieden. Das ist sehr gut. Musik bringt gute Emotionen und verbindet. Musik ist für alle verständlich. Das ist gut für das Miteinander.

Ich komme in die Kirche und mache Konzerte für den Frieden. Das ist sehr gut. Musik bringt gute Emotionen und verbindet. Musik ist für alle verständlich. – Aeham Achmad

Wir sind Menschen, wir hassen uns nicht, nur weil einige verrückte Politiker da anderer Meinung sind. Die christliche Religion kommt aus dem Mittleren Osten. Jesus ist dort geboren. Er war wahrscheinlich nicht blond und hatte wahrscheinlich wie ich schwarze Haare. Wir lebten vor dem Krieg friedlich in unterschiedlichen Religionen nebeneinander: Christen, Moslems und Juden. Wir lebten friedlich beisammen. Damaskus hat viele christliche Kirchen und Moscheen, aber auch Synagogen. Wir kamen vor dem Krieg gut miteinander aus. Diese unsägliche Politik hat die Spaltung der Religionen bewirkt. Wir haben so viele ethnische Gruppen in Syrien, da gab es keine Probleme. Wir haben unterschiedliche Formen des Islams. Da gab es vorher keine Kämpfe. Alles begann mit dem Krieg. Weil wir einen verrückten Diktator haben, der alles durcheinandergebracht hat.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.


Über Aeham Achmad: Es ist fast makaber, dass Aeham Achmad seine Karriere und den weltweiten Ruhm dem furchtbaren Krieg in Syrien zu verdanken hat. Mit seiner Frau und seinen Kindern lebt er jetzt in Wiesbaden. Beim Klavierspielen schöpft er immer wieder neue Kraft. In ganz Europa gibt er Konzerte, in diesem Jahres auch in Japan. Schon im Dezember 2015 wurde er ausgezeichnet mit dem Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte. „Musik ist meine wirkliche Sprache – die Sprache, die die Welt versteht“, sagt er. „Musik erreicht die Herzen der Menschen und schenkt Hoffnung.“ Seine Hoffnung und die Hoffnung vieler Menschen, die ihr Land, ihre Familie und Freunde zurücklassen mussten, ist Frieden: Ein Ende aller Gewalttaten und auch, dass die Menschen eines Tages alle wieder in ihr Land zurückkehren können und nicht nur die Vögel singen.

Pianist Aeham Achmad und Elke Krohn (Foto: Heike Knauff-Oliver / ERF Medien)

Elke Krohn, vom Nassauischen Kunstverein  in Wiesbaden, hilft geflüchteten Menschen bei der Integration. Sie hat auch Aeham Achmad unterstützt und gefördert. Sie fand Wege um Aeham`s Frau und Kinder nach Deutschland zu bringen. Sie rät allen Integrationshelfern „nicht aufzugeben sondern dran zu bleiben“. Sie meint: „Diese Menschen brauchen jetzt unsere Hilfe, der Einsatz lohnt sich!“

Autor/-in: Heike Knauff-Oliver