24.04.2019 / Wort zum Tag

Mit offenen Augen

Auf dich, HERR, sehen meine Augen; ich traue auf dich, gib mich nicht in den Tod dahin.

Psalm 141,8

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Mächtige regieren diese Welt. Nach ihrer Machtergreifung versuchen sie so viele Menschen wie möglich auf ihre Seite zu bringen. Das gibt es im politischen Bereich, in der Wirtschaft, leider auch in manchem Betrieb und in mancher Familie. Schlimm ist es, wenn gewissenlose Menschen an die Macht kommen, denen alle Mittel recht sind, um an ihr Ziel zu kommen.

David berichtet einmal, dass gottlose Übeltäter nichts unversucht gelassen haben, um anständige Menschen in ihren Bann zu ziehen. Sie haben Zusammenkünfte veranstaltet, auf denen es leckere Speisen gab. Sie haben Propaganda für ihre Sache getrieben, so raffiniert, dass beinahe auch David reingefallen wäre. Rechtzeitig sieht er die Gefahr, angesteckt zu werden und auch Böses zu tun. Darum bittet er: „Bewahre mich und hilft mir, dass ich mich von den Übeltäter nicht mitreißen lasse!“

David sieht das Ende der Mächtigen voraus. Er weiß, dass man dann wieder auf ihn  hören wird. Eine große Aufgabe steht vor ihm. Er weiß, dass seine eigene Kraft nicht reicht. Darum bittet er: „Mein Herr und mein Gott, dir vertraue ich. Bei dir suche ich Schutz.“ Aber noch ist der Einfluss der Mächtigen wohl nicht ganz gestoppt. David befürchtet, dass man ihn reinlegt. Er bittet Gott: „Rette mich vor den Verbrechern, die mir nachstellen.“

Reingefallen?

Was bedeutet ein solches Bibelwort für mich? Mancher, der das jetzt liest, ist vielleicht auch schon reingefallen, weil einer, der mehr zu sagen hatte, ihn auf eine falsche Fährte führte. Da steigen dann Ärger und Wut in uns auf.  Man wünscht sich z. B. ein schlimmes Ende des anderen, der einem Schaden zugefügt hat. Es ist schlimm, sich verraten und verkauft zu fühlen. Rachepläne werden geschmiedet.

Doch es bleibt uns die Möglichkeit, es so zu machen wie David, nämlich mit Gott zu reden: „Auf dich, Herr, sehen meine Augen; ich traue auf dich.“ Wir suchen sozusagen den Augenkontakt mit Gott. Es ist ein inneres Sehen. Ich schließe vielleicht meine Augen und stelle mir vor, wie Gott aus seiner unsichtbaren Welt in meine Welt hineingreift und die Gesinnung meines Gegners wandelt. Und die Wut dämpft.

Ich will erzählen von zwei Männern, die sich  feindlich gegenüber standen. Es war in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Franzosen waren ins Ruhrgebiet eingezogen. In einer von ihnen besetzten Stadt gab es große Schwierigkeiten zwischen dem Kommandanten, einem französischen Offizier und Sohn eines evangelischen Pfarrers und dem Bürgermeister, der sich schrecklich ärgerte, dass er nicht mehr das letzte Wort hatte. Er konnte nicht verstehen, dass der Offizier Befehle seiner Vorgesetzten zu befolgen hatte. An einem Karfreitag zog es den Pfarrerssohn in die Kirche. Die Gemeinde war durch den Besucher irritiert. Am Ende des Gottesdienstes wurde zum Abendmahl eingeladen. Der Offizier tritt als einer der letzten an den Tisch des Herrn und stutzt. Denn im selben Augenblick tritt auch sein Gegner, der deutsche Bürgermeister, nach vorn und steht plötzlich an seiner Seite. Der Blick der ganzen Gemeinde ist auf die beiden Männer gerichtet. Was würden Sie tun? Ein kurzes Zögern, dann treten sie gemeinsam vor. Sie essen von einem Brot und trinken aus einem Kelch und reichen sich die Hände. Vor Gottes Angesicht wurden aus Gegnern Brüder.

Autor/-in: Horst Marquardt