21.06.2015 / Wort zum Tag

Matthäus 6,11

„Unser tägliches Brot gib uns heute.“

Matthäus 6,11

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Ich finde es erstaunlich, an welcher Stelle sich diese Bitte im Vaterunser befindet. Genau in der Mitte steht die Bitte um das tägliche Brot. Mich spricht das besonders an, wenn ich das Gebet im Ganzen betrachte und dann entdecke, was im Zentrum steht. Zwischen den drei Bitten um Gottes Reich und Herrschaft, um Gottes Willen und Gottes Namen und den drei Bitten um Bewahrung, Vergebung und Hilfen in den geistlichen Grundfragen unseres Lebens, da steht der ganz irdisch und materiell ausgerichtete Ruf nach dem täglichen Brot. Ist es nicht bemerkenswert, dass, wie zwischen zwei geistlichen Säulen, solch ein weltliches Anliegen platziert ist?

Aber was mich besonders anspricht, hat dagegen andere gestört. So z.B. die sogenannten Kirchenväter, wie Tertullian und Augustin, die in den ersten Jahrhunderten nach Christus das Vaterunser ausgelegt und erklärt haben. Sie fanden es unpassend, nach den ersten drei herausragenden Bitten, die sich um Gottes Ehre drehen, nun auf einmal zu so etwas Banalem und Materiellem herabzusteigen. Deshalb verstanden sie das Brot allegorisch als geistliche Nahrung. Ich möchte an der wörtlichen Bedeutung festhalten. Das beeindruckt mich ja gerade, dass ich Gott auch um das tägliche Brot bitten soll.

Ich denke, Jesus wollte diese Wirkung erzielen und mir mit dem Gebet helfen, das, was zum Leben gehört richtig einzuordnen und entsprechend damit umzugehen. An Brot hat es mir nie gefehlt und wirklichen Hunger, den Millionen von verzweifelten Menschen in der Dritten Welt täglich erleiden, habe ich nie erlebt. Deshalb ist die Bitte um das tägliche Brot so wichtig für mich. Was so selbstverständlich und im Überfluss in meinem Leben vorhanden ist und mir ohne Probleme zur Verfügung steht, das ist letztlich eine Gabe Gottes. Wenn ich bete: Unser tägliches Brot gib uns heute, dann sage ich zugleich: Herr, du kennst meine wahren Bedürfnisse. Ich danke dir für alles, was ich am heutigen Tage brauche. Danken macht glücklich. Wenn ich einem Menschen danke, dann bringe ich damit zum Ausdruck: Du, der du mir das alles gegeben hast, und ich, der es empfange, wir gehören zusammen.

Wir gehören zusammen. Darum ist das Bitten und Danken so wichtig. Ich verstehe dann: Gott gewährt mir auch die selbstverständlichen Dinge, weil er mit mir teilen will. Jede Schnitte Brot, jeder Apfel, jeder Baum, jede Blume, jeder Fernseher, jede Wohnung - alles, was ich zum Leben brauche, alles, was mir Freude macht, ist ein handfestes Zeichen der Liebe Gottes. Damit werden gerade die selbstverständlichen Dinge noch viel wichtiger und wirkungsvoller. Ich kann so die Sprache der Dinge besser verstehen. Brot ist nicht mehr nur ein gewöhnliches Lebensmittel, es ist jetzt ein konkretes Stück von Gottes Liebe, die ich schmecken kann.

Die Dinge bleiben auch Gottes Gabe, wenn ich oder andere sie anfertigen und herstellen. Wir verwandeln sie lediglich. Wir formen und gestalten sie, aber sie sind gleichwohl vorgefundene Gaben. Nun möchte vielleicht einer sagen: „Ich soll noch danken für das, was ich mir erworben habe? Dafür habe ich hart gearbeitet!!“ Wer so spricht, hat aber genau den aus dem Blick verloren, von dem alle gute Gabe kommt: Gott, den Schöpfer. „Unser tägliches Brot gib uns heute“, das heißt: Ich bleibe Empfangender, auch wenn ich etwas leiste. Auch diese Fähigkeit habe ich ja empfangen. Selbst wenn ich nichts mehr leisten kann, lässt Gott mir zukommen, was ich brauche, denn er kennt meine Bedürfnisse.

Autor/-in: Pastor Ralf Schöll