23.12.2010 / Wort zum Tag

Matthäus 15,30-31

Sie legten die Kranken Jesus vor die Füße, und er heilte sie, so dass sich das Volk verwunderte, als sie sahen, dass die Stummen redeten, die Verkrüppelten gesund waren, die Gelähmten gingen, die Blinden sahen; und sie priesen den Gott Israels.

Matthäus 15,30-31

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Ich sehe sie vor mir, diese Kranken, wie sie zu Jesus gebracht werden; sie können nicht mal selbst zu ihm hingehen – andere bringen sie, legen sie Jesus zu Füßen. Und er gibt Blinden das Augenlicht, und er löst die Zunge der Stummen, er macht Beine wieder grade und kräftig, und ich höre, wie die Freunde und Zuschauer staunen und jubeln!

Was da erzählt wird von Matthäus ist für mich eine Anfrage: traue ich Gott zu, das er auch heute gesund macht? Oder ist dieser Gott heute nur ein Gott fürs Innere, für die Seele? Einer, dem halt die Hände gebunden sind; einer, der halt nicht kann, auch wenn er wollte?

Ich schäme mich: Oft erwarte ich für kranke Menschen keine Heilung, ich bete nur, dass der Kranke mit seinem Zustand gut zurecht kommt, und das ist ja auch schon etwas – aber: Ach, wie kleingläubig bin ich oft, seufze ich. Manchmal hatte ich so den Impuls, einem anderen die Hände aufzulegen und für ihn zu beten, so dass er es auch merkt, aber meistens habe ich gedacht: Ach, das sieht dann so protzig aus, so übertrieben – und dann ist der andre vielleicht umso mehr enttäuscht, wenn nichts passiert?

Nein, ich glaube nicht, dass hier auf der Erde jeder gesund wird. Der nur richtig glaubt, der nur fest genug betet. Gott tut Wunder bei Menschen, auch wenn sie behindert sind und es bleiben. Manchmal fragt man sich wirklich: wer ist gesund und wer krank!

Aber nein, ich will das nicht schön reden: Kranke Menschen sind nicht besser dran als andere! Es gibt Krankheiten und Behinderungen, die sind einfach schwer, da muss man schon mit der Lupe suchen, was denn daran gut sein soll! Und ich sehne mich manchmal nach dem Tag, wenn Jesus wiederkommt und wenn mein Freund Uwe endlich ausdrücken kann, was er im Kopf hat, denn der Mund kann es nach dem Schlaganfall nicht mehr formulieren…

Mutig glauben, dass Gott alles kann: heilen, und helfen, und zum Besten dienen lassen…  Mit Gott zusammen meine Geschichte leben. Mit Gott zusammen fragen: was soll ich denn beten. Jesus die Kranken bringen, bildlich gesprochen, sie ihm vor die Füße legen.

Ich traf vor ein paar Wochen eine frühere Bekannte, eine bewusste Christin. Sie sah gut aus, fand ich, aber sie erzählte mir vom Cortison, das sie nehmen muss seit einem Jahr, sie ist seither krankgeschrieben, hat immer Schmerzen, und als sie vor einem Vierteljahr die Wiedereingliederung in den Beruf versuchte, kamen die Schmerzen schlimmer als vorher, und sie musste wieder aussetzen. Noch ist kein Ende in Sicht. Sie kämpft sich durch, jeder Tag ist wieder anders, und ich bewundere sie: Wie schafft man das, ohne den Halt der Arbeit, immer mit der Ungewissheit: wie wird der Tag morgen sein? Und sie sagte mir: Weißt du, vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen, so lange ohne Arbeit zu sein. Aber ich stelle fest, dass es geht. – Und wissen Sie: ist das nicht schon sehr viel? Dass sie sich so in Gottes Hände geben kann, ohne zu wissen, wie es weitergeht; immer mit Schmerzen leben – aber eben nicht sich umzubringen oder ständig zu lamentieren? Ich ziehe innerlich den Hut vor ihr, ich weiß nicht, wie ich das hinbekäme…

Leben kann so unvollkommen sein! Und es stimmt nicht, wenn man sagt: Bete - und du wirst gesund! Wie wenn ich Gott im Griff hätte! Ihn zwingen könnte zu etwas. Aber vielleicht ihn beim Wort nehmen und ihm seine Verheißungen „in die Ohren reiben“? wie Martin Luther einmal sinngemäß sagte.

Und so soll es eben auch nicht sein, dass ich sage, ich lass das Beten sein, ich beiße die Zähne aufeinander, ich gehe halt heldenhaft unter! Ich will Gott auch nicht beleidigen durch Unglauben!  Und ich habe mir vorgenommen: wenn ich das nächste Mal den Wunsch spüre, für einen Menschen zu beten und ihm dabei die Hände aufzulegen – dann will ich das tun, auch wenn andere komisch gucken - dann will ich nicht feige sein!

Autor/-in: Pfarrerin Renate Schmidt