15.05.2014 / Wort zum Tag

Lukas 10,35

„Der Samariter zog zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme“

Lukas 10,35

Sprüche 19,17

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Das ist zweifellos eine der bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments. Jesus hat sie erzählt. Ein Mann ist unterwegs von Jerusalem hinab nach Jericho, wird überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt und bleibt halbtot liegen. Was einem Todesurteil gleich kommt. Denn zwischen Jerusalem und Jericho ist Wüste. Wer dort halbtot liegen bleibt ist in aller Regel bald ganz tot. Nun kommt ein Priester vorbei. Dann ein Levit. Alle sehen den Halbtoten. Aber sie gehen vorbei. Nur ein Samariter bleibt stehen. Also einer, der zu einer Volksgruppe gehört, die von den Juden verachtet wird. Der hat Erbarmen. Der versorgt die Wunden des Überfallenen. Der legt ihn auf sein Tier und bringt ihn in eine Herberge und pflegt ihn. Er bleibt die ganze Nacht. Am nächsten Tag muss er weiterziehen. Aber er gibt dem Wirt zwei Silbergroschen und sagt: „Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.“

Dieser Samariter ist seitdem zu einem geflügelten Begriff geworden. Man spricht vom „Barmherzigen Samariter“. Jesus hat die Geschichte erzählt. Es ist eine ausgedachte Geschichte vermutlich. Aber sie ist so plastisch und eindrücklich und seit dem so oft erzählt worden, dass viele Menschen denken: Das ist wirklich so passiert. Entsprechend wird auf der Straße zwischen Jerusalem und Jericho bis heute ein zerfallenes Haus als „Herberge des barmherzigen Samariters“ präsentiert. Worauf natürlich nur Touristen hereinfallen können, die alles andere als bibelfest sind. Jesus hat die Geschichte in einem Streitgespräch mit einem Schriftgelehrten erzählt. Der wollte ihn aufs Glatteis führen. Es ging um die Frage, wie man das ewige Leben bekommt. Jesus hatte den Schriftgelehrten auf die Schrift verwiesen und gefragt, was da denn wohl drinsteht. Worauf der Schriftgelehrte aus dem Alten Testament zitiert hat: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus hatte dem Schriftgelehrten darauf hin gesagt: „Tu das, so wirst du leben.“ Was den wiederum zur Gegenfrage veranlasst hat: „Wer ist denn mein Nächster?“

Als Jesus die Geschichte erzählt hat, fragt er den Schriftgelehrten: „Wer ist denn nun der Nächste für den gewesen, der unter die Räuber gefallen war?“ Worauf dem keine andere Antwort übrig bleibt als diese: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat.“ Der Samariter also.

Einem Menschen der Nächste sein. Einem Menschen nahe kommen. Die Wunden und Narben eines anderen Menschen berühren und versorgen. Sich das Schicksal eines anderen Menschen unter die Haut gehen lassen – das heißt für einen anderen der Nächste sein.

Wir alle brauchen solche Menschen. Wir brauchen Menschen, die uns nahe kommen, die sich auf uns einlassen, die unsere Lasten zu ihren eigenen machen. Die sich so um uns kümmern, als hätten sie es ganz alleine mit uns zu tun. Wir sollen umgekehrt solche Menschen sein immer wieder in den ganz und gar alltäglichen Situationen unseres Lebens.

Jesus möchte vor allem eins: dass seine Leute barmherzig sind, dass sie barmherzig leben, dass sie mit barmherzigen Augen durch diese Welt gehen, mit barmherzigen Händen zupacken.

Ich gebe es gerne zu: diese Geschichte macht mich immer neu unruhig, so wie sie damals wohl den Schriftgelehrten unruhig gemacht hat. Wer ist mein Nächster? Wer ist der, der auf meine Barmherzigkeit wartet? Wer ist der, der meine Zuwendung braucht? Die Frage beunruhigt mich. Aber ich weiß ja, wer sie stellt. Der, der mir jeden Tag neu mit grenzenloser Barmherzigkeit begegnet. Der, der mir seine uneingeschränkte Zuwendung schenkt: Jesus. Er ist immer wieder der Allernächste für mich. Das macht es mir ein bisschen leichter, selber Nächstenliebe zu üben.

Autor/-in: Jürgen Werth