19.09.2022 / Wort zum Tag

Lieblingspsalm

Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.

Psalm 103,6

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

Zugegeben – der Psalm 103, aus dem unser heutiges Bibelwort stammt, ist einer meiner Lieblingspsalmen. Er beginnt mit den Worten an meine Seele, Gott zu loben und nicht zu vergessen, was er mir alles Gutes getan hat, mir alle Sünde vergibt und alle Gebrechen heilt, meinen Mund fröhlich macht und mich wieder jung macht.

Und dann heißt es im heutigen Bibelwort aus Psalm 103 Vers 6: „Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.“ Der Blick wird weiter. Nicht nur ich spiele eine Rolle, sondern diejenigen, die Unrecht leiden. Da fallen mir tatsächlich immer erst andere ein, die vor dem Gesetz kein Recht bekommen haben, die keine Stimme hatten oder keine Möglichkeiten, zu ihrem Recht zu kommen. Und wenn ich nur über ein paar europäische Grenzen hinausgehe, dann sehe ich schreiendes Unrecht, und nicht nur in Europa. Und ich weiß, dass der Psalm ja an Mose erinnert und an Gottes Barmherzigkeit und weiß: so fängt es an. Dass Menschen zu Gott schreien. Und dass Gott das Schreien hört. Ziemlich schlechte Nachrichten für Diktatoren, für Machthaber von eigenen Gnaden, für Unrechtssysteme. Aber sehr gute Nachrichten für diejenigen, die keine Stimme haben in der Welt, die über Jahre lernen mussten, dass sich niemand für ihre Lage interessiert.

Und mein Lieblingspsalm bekommt plötzlich eine Weite, die ich ihm gar nicht zugetraut habe, weil ich dachte, das sind doch nur Worte für mich vom Loben und nicht vergessen. Aber zu klein gedacht. Eben Worte für die Unterdrückten, für die, die Unrecht leiden. Und denen schafft der Herr Gerechtigkeit und Recht. Und ich staune: hier wird nicht eingeschränkt wie „der Herr wird am Ende der Tage mal alles aufrechnen“ oder „wenn ihr Geduld habt, werdet ihr erleben …“

Nicht zu fassen. Einfach eine Aussage über Gott, die Gültigkeit hat, weil Gottes Volk ihn so erlebt hat. Barmherzig und gnädig. Und Recht und Gerechtigkeit schaffend. Weil er wie ein Vater zu seinen Kindern ist, wie es später noch heißt. Weil er sich erbarmt. Weil er uns kennt und weiß, wie schnell wir uns wieder von ihm entfernen, wenn wir einmal erlebt haben, dass er gut zu uns war. Was für ein Jammer. Dieser Psalm gibt Erfahrungen mit Gott weiter, die sich bewährt haben. Und eine der größten ist eben: der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden. Ist das nicht die zusammengefasste Geschichte des Volkes Israel? Oder die Geschichte der Christenheit – auch vieler Christen heutzutage außerhalb des sicheren europäischen Kontinents?

Der Psalm redet von dem lebendigen Gott, der barmherzig ist. Der anders handelt als gedacht. Von Gott reden, heißt, von seiner großen Gnade reden, von seinem Hören, was unser Schreien angeht, von einem Gott, der auch etwas tut, bevor er gerufen wird: er tut Gutes, er heilt, er erlöst, er krönt, er macht fröhlich. Barmherzig und gnädig ist er nicht einfach an sich und für sich, sondern zu uns. Dann wissen wir auch, warum er Gerechtigkeit und Recht schafft: ihm liegt an uns, er will mit uns zu tun haben, obwohl er weiß, wie wir so sind. Und damit jeder mehr weiß, hat er seinen Sohn geschickt, der genauso ist, wie hier beschrieben: er vergibt, erlöst, zeigt Gottes Barmherzigkeit. Vergebung steht ganz oben. Er zeigt den Vater. Er zeigt uns Gott, wie er wirklich ist.

Autor/-in: Pfarrer Dr. Siegfried Meier