02.11.2022 / Wort zum Tag

Licht am Ende des Tunnels

Warum gibt Gott dem Leidenden Licht und Leben denen, die verbittert sind, die sich sehnen nach dem Tod, doch er kommt nicht?

Hiob 3,20–21

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„Warum lässt [Gott] den [noch] Licht sehen, der völlig fertig ist, und lässt die am Leben, deren Seele verbittert ist? Sie sehnen den Tod herbei – aber für sie gibt es ihn nicht!“  Was für ein düsteres Bibelwort für einen Novembertag! Haben Sie auch zunächst gestutzt, dass solche Sätze in den „Losungen“ der Herrnhuter Brüdergemeine vorkommen? Ja: „Freut euch in dem HERRN allewege“, sowas sind wir gewöhnt. Aber Hiob mit seinem Leiden, seiner Angst, seiner Todessehnsucht: Das geht doch nicht!

Doch, das passt – und zwar, weil Gottes Buch für uns das ganze Leben enthält, nicht nur die Sonnenstunden. Und weil es eben auch dunkle Zeiten gibt, auch in einem ganz normalen Leben.

Hiob ging es echt erbärmlich: Konkurrenten hatten sein florierendes Unternehmen an den Rand des Ruins gebracht. Eine Naturkatastrophe riss seine Kinder in den Tod, als sie fröhlich feierten. Und dann setzt seine Frau noch eins drauf: „Sag’ dich von Gott los und stirb“, rät sie ihm, und meint damit: „Der hilft dir ja doch nicht.“

Wir wissen nicht, was Hiob getan hätte, wenn da nicht ein paar Freunde gekommen wären. Zunächst, um einfach mit ihm zu trauern. Dann aber diskutieren sie mit Hiob über Gott und die Welt. „Überleg’ mal: Da gibt es etwas in deinem Leben, was Gott nicht gefallen hat. Das musst du rausfinden, das musst du mit Gott klären! Du bist selbst schuld an deinem Elend.“

Seine Freunde haben ja recht – einerseits: Durch Fehler, die wir machen, durch falsche Weichenstellungen kann sehr viel kaputt gehen in unserem Leben. Aber es gibt eben auch ein „Andererseits“: dass wir die Folgen der Fehler anderer Menschen ausbaden müssen oder dass wir vielleicht erst viel später verstehen können, warum Gott das zugelassen hat.

Der fromme Hiob lässt sich auf die naheliegende Erklärung seiner Freunde nicht ein, obwohl er Gott und das Elend in seinem Leben nicht begreifen kann. In seinem Kopf kämpft es miteinander: der verständliche Wunsch, einfach aus all dem Unerträglichen rauszukommen, Schluss zu machen; und die Überzeugung, dass das gerade keine Lösung wäre, dass er die Rechenaufgabe seines Lebens bis zur letzten Zeile durchrechnen muss.

Hiob weiß sein Leben trotz aller Not und bei allem Zweifel doch bei Gott gut aufgehoben. Deshalb redet dieser verletzte Mensch nicht nur mit seinen Freunden darüber, wie es in ihm aussieht; nein, er fängt auch an mit Gott zu reden und auf Gott zu hören. Er fängt an zu beten. Gott will doch, dass wir „Licht sehen“, gerade, wenn es stockdunkel in uns ist. Unser Gottvertrauen braucht gerade in Sackgassen des Lebens einen Relaunch, einen neuen Anfang. Das gibt Hoffnung trotz Dunkel und Ungewissheit. Es gibt Kraft, diesen dunklen Tag zu überstehen, auch das Gespräch, an dem alles zu hängen scheint. Das ist es, was dieses Bibelwort Menschen sagen will, die wie Hiob mit allem abgeschlossen haben.

Autor/-in: Dekan Dr. Heinz-Werner Neudorfer