18.08.2021 / Wort zum Tag

Klug ist …

So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne.

Jeremia 9,22–23

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Sich selbst zu rühmen ist vielleicht nicht die feine englische Art. Natürlich gibt es Menschen, die mehr von sich überzeugt sind als andere. Vielleicht entsprechen sie den gängigen Vorstellungen davon besser, was einen erfolgreich zu machen scheint. Vielleicht haben Sie auch einfach nur ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein.

Ich erinnere mich an eine Begebenheit im Bordbistro eines ICE auf der Fahrt nach Berlin. Ein Mann im Business-Anzug maulte die Bedienung an: „Was kann ich dafür, dass Sie hier arbeiten müssen? Wenn Sie sich ein bisschen mehr Mühe gegeben hätten, müssten sie jetzt nicht so eine scheiß Arbeit machen.“

Ich war sprachlos über so viel Arroganz und Unhöflichkeit. Diese Kombination ist in ICEs gerade bei Businessmen durchaus nicht ungewöhnlich. Sie offenbart etwas von den eigentlichen Werten und Zielen, die in unserer Gesellschaft wichtig und prägend sind: beruflicher Aufstieg, Leistung, eine bedeutende Position zu bekleiden, also unsere Form von Stärke. Und damit verbunden ein gutes Einkommen, Wohlstand, den man vorzeigen kann, also Reichtum. Genau das, worauf der Losungsvers der Herrnhuter Brüdergemeine von heute Bezug nimmt: So spricht der HERR: ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne.

Solche Formen vom Zur-Schau-Stellen des eigenen Ruhms sind nicht bloß unsympathisch und unsozial. Sie lassen auch tief blicken, dass es mit der eigenen Klugheit nicht weit her ist. Es ist nicht klug, ohne Rücksicht auf Verluste nur die eigenen Vorteile im Blick zu haben. Es ist einfach nicht klug, die Ressourcen, von denen wir leben, auszubeuten, weder sozial noch ökologisch. Es ist nicht klug, wie wir einander, uns selbst und unsere Umwelt behandeln.

Wir müssen als Gesellschaft lernen, die Grenzen von Umwelt und Mitmenschen zu respektieren, wenn wir überleben wollen. Das wird uns allen mehr und mehr bewusst. Wir müssen lernen, uns selbst zurückzunehmen. Andere zu achten und respektvoll zu sein, ist keine Schwäche, sondern Klugheit.

Aber es fällt uns schwer. Viel zu lange war unbedingtes Wachstum des eigenen Vorteils unsere gesellschaftlich anerkannte Lebensweisheit. Womöglich gelingt eine Umorientierung nur, wenn die Kraft dazu die Liebe ist, die von Gott kommt und die alle miteinschließt, den arroganten Schnösel genauso wie die gestresste Bahn Mitarbeiterin, die geplagte Schöpfung genauso wie die Menschheit, Privilegierte genauso wie Übersehene.

Die Menschen, mit denen wir leben, mit denen wir gemeinsam auf diesem Planeten auskommen müssen, zu achten und zu respektieren, bedeutet für uns, erst einmal wahrzunehmen, wie viel von diesem Planeten wir mit Beschlag belegen, wie viele Ressourcen wir für uns beanspruchen und wie sehr wir verstrickt sind in die globale Ungerechtigkeit. Auch die Kraft zu einer solchen ehrlichen Analyse entspringt in Gott und seiner Liebe, bei der Selbsterkenntnis nicht zur Verurteilung, sondern zu Neuanfängen führt. Eine solche Selbsterkenntnis macht uns klug. Zusammen mit der Liebe Gottes lässt sie uns klug werden und umsichtig handeln. Das ist unsere Zukunft.

Autor/-in: Pastorin Kerstin Offermann