25.11.2014 / Wort zum Tag

Klagelieder 1,20

"Ach HERR, sieh doch, wie bange ist mir, dass mir's im Leibe davon wehtut! Mir dreht sich das Herz im Leibe um, weil ich so ungehorsam gewesen bin. Draußen hat mich das Schwert und im Hause hat mich der Tod meiner Kinder beraubt."

Klagelieder 1,20

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Klagelieder sind oft das Ende vom Lied, wenn Menschen Gott vergessen. Vierzig Jahre lang hatte Jeremia Israels Herrscher und das ganze Volk gewarnt, ohne Gott zu denken, zu handeln, zu leben. Vergeblich! Jetzt war die von ihm angekündigte Katastrophe eingetreten. Jerusalem war erobert, die arbeitsfähigen Leute nach Babel in die Knechtschaft verschleppt worden. Die Alten durften in der Stadt bleiben. Ihnen blieben nur – Klagelieder.

Im ersten, das uns Jeremia überliefert, sprechen sie mit einer Stimme. Ihnen dreht sich das Herz im Leibe um, wenn sie das zerstörte Land sehen. Erst recht, wenn sie den zerstörten Tempel sehen. Vor allem aber, wenn sie sehen, dass sie an ihrem Unglück selber schuld sind.

Sie kommen zu dieser Einsicht! Wie aus einem Mund kommt ihr Schuldbekenntnis, auf das Gott bisher hatte vergeblich warten müssen: „Weil ich so ungehorsam gewesen bin.“ Anders übersetzt: „Weil ich wirklich trotzig gewesen bin.“

Mitten in ihrem Klagelied die rettende Selbstanklage! Wo Menschen ihre Schuld vor Gott einsehen und eingestehen, da lichtet sich das Dunkel. Wo sie Gott ihre Sünde bekennen, da ist die Vergebung nicht fern. Wo sie zugeben, am Ende zu sein, da ist ein Neuanfang möglich.

Israel erlebte das nach der Katastrophe von 587 vor Christus. Wir als die nach Christus Geborenen können es heute noch erleben. Denn wer von uns kennt nicht Zeiten, in denen er trotzig gegenüber Gott war – ihn überhört und übersehen, seine Gebote ausgebootet und den eigenen Willen ausgelebt hat? Wieviel Zerbruch im Leben haben wir uns selber zuzuschreiben!

Das setzt uns oft zu, meistens nachts. Wir finden keinen Schlaf. Peinliche Szenen laufen vor unserem inneren Auge ab. Wir sehen vorwurfsvolle Gesichter, hören anklagende Stimmen. Schuldgefühle überfallen uns. Sie drücken auf unser Herz, beschleunigen unseren Puls – so, als müssten wir vor einer tödlichen Gefahr davonlaufen. Nicht erst die neuere Medizin, schon die alte Bibel weiß: Verdrängte oder verschwiegene Schuld kann krank machen!

Luther konnte davon ein Lied singen: „Die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb, zur Höllen musst ich sinken.“ Aber er kannte zum Glück auch den, der uns alle Angst vor Gott nehmen kann: Jesus Christus! Von ihm sang er dann: „Er sprach zu mir: Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen; ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen; denn ich bin dein und du bist mein.“

Heilsame Worte gegen jede Selbstanklage bei Tag oder Nacht! Sie machen Mut, auf den Heiland der Welt zu schauen und mit Jerusalem zu betteln: „Ach, HERR, sieh doch, wie bange mir ist.“ Dann finden wir Gnade vor Gottes Augen. „Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.“ Wenn wir uns diese Worte Jeremias aus seinem dritten Klagelied zu eigen machen, werden aus unseren Klageliedern Jubellieder – Anbetungslieder der unverdienten Liebe Gottes!

Autor/-in: Pfarrer i. R. Gerhard Weinreich