09.10.2019 / Bericht

Keine Wende sondern friedliche Revolution

Wolfgang Thierse erinnert an Beitrag der Christen in der DDR zum Mauerfall.

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Dankbarkeit – das ist für Wolfgang Thierse das Schlüsselwort, wenn er auf die friedliche Revolution von 1989 zurückblickt, auf die Beendigung der deutschen Teilung und den Niedergang des diktatorischen SED-Regimes. Als DDR-Bürger hat Thierse selbst darunter gelitten. Warum er in der friedlichen Revolution auch für heute einen Auftrag sieht, hat Thierse ERF Medien geschildert.
 

Die Willkür des SED-Regimes traf den damals 33jährigen Wolfgang Thierse 1976, als der Germanist und Kulturwissenschaftler eine Befürwortung der Ausbürgerung des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann nicht unterschreiben wollte. Thierse flog aus dem DDR-Kultur-Ministerium und wurde –immerhin noch – wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Literaturgeschichte.

Wiedervereinigung ein historischer Glücksfall

Die Wiedervereinigung und die Verankerung Deutschlands in einem friedlichen Europa bezeichnet der spätere Bundestagspräsident als „historischen Glücksfall“. „Friedlich vereint, in Grenzen, zu denen alle unsere Nachbarn ja gesagt haben, daran könnten wir uns ruhig wieder erinnern, in all der miesen Laune, in der wir uns heute befinden,“ sagt Thierse.

Nicht Wende sondern friedliche Revolution

Für ihn ist die Zeit um den 9. November 1989 nicht einfach „die Wende“, die nur die wiederwilligen Umkehrungsversuche der SED beschreibt. Thierse gehört bewusst zu denen, die die Vorgänge in der DDR vor 30 Jahren als friedliche Revolution bezeichnen. Diese sei nicht das Ergebnis genialer Politik von irgendwelchen Großpolitikern, sie sei vielmehr „ein Wunder“, und das habe auch mit den Christen und den Kirchen, vor allem den evangelischen zu tun, betont Thierse, der auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist.

Keine Gewalt und Dona nobis pacem

Dona nobis pacem – Gib uns Frieden. Dieses Lied hat Thierse damals selbst oft mitgesungen in den Tagen von 1988 und 89 nach einer hitzigen Debatte unter Kirchendächern. „In Leipzig, Berlin und anderswo war es den Menschen immer wichtig, friedlich aufzutreten und als Demonstranten keine Gewalt zu üben“, berichtet Thierse. Daher habe man zum Abschluss, wenn es aus der Kirche hinaus auf die Straße zu den Montagsdemonstrationen ging immer wieder das Lied Dona nobis pacem gesungen – den an Gott gerichteten Wunsch „Gib uns Frieden“. Das habe die Situation immer wieder befriedet. Der Ruf „Keine Gewalt“ wurde so zum Markenzeichen der friedlichen Revolution. „Die Zeiten damals können auch Vorbild für heute sein“, meint Thierse, „wo unsere Gesellschaft wieder auseinander zu brechen droht.“

Unsere Aufgabe heute ist die Entfeindung

Und so wurde der Ruf „Keine Gewalt“ zum Markenzeichen der friedlichen Revolution. Und genau hier liegt für Wolfgang Thierse der Schlüssel. Er will die friedliche Revolution nicht als abgeschlossenen Vorgang verstehen, an den man nur die Erinnerung pflegt. „Wir Christen, wir religiösen Menschen, wir Demokraten sind als Verteidiger der Demokratie, die die politische Lebensform der Freiheit ist, gefragt. Dies ist der Sinn, wenn wir heute 30 Jahre friedliche Revolution feiern“, betont Thierse

In einer Welt „voller Hass und voller Widersprüche“, die sich immer mehr polarisiert, hätten Christen die Aufgabe der „Entfeindung“. Thierse denkt einen Moment nach im Interview und dann wiederholt den Begriff noch einmal: „Ja, Entfeindung, das trifft es wohl am besten.“

Autor/-in: Andreas Odrich

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