14.01.2016 / Wort zum Tag

Kein Mensch im Land wird noch klagen

Kein Mensch im Land wird noch klagen, er sei von Krankheit und Schwäche geplagt; denn die Schuld des Volkes ist vergeben.

Jesaja 33,24

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Es war die Zeit der babylonischen Gefangenschaft etwa im Jahre 600 vor Christus. Die Israeliten glaubten, dass Ihr gottloses Verhalten sie in die Gefangenschaft nach Babylon führte. Sie sahen einen Zusammenhang zwischen dem, wie sie früher ohne Gott lebten und dem, was sie jetzt in Gefangenschaft zu erleiden hatten. Sie sahen einen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen  nach dem Muster: Was du tust, hat Folgen. Wenn du gottlos lebst, wird Gott dich verlassen. Nun verheißt Gott Befreiung. Befreiung aus der Gefangenschaft. Rückkehr in die alte Heimat. Befreiung von Krankheit und Leid, denn die Schuld ist vergeben.

So heißt es in Jesaja 33,24: „Kein Mensch im Land wird noch klagen, er sei von Krankheit und Schwäche geplagt; denn die Schuld des Volkes ist vergeben.“ Ich tue mir ungeheuer schwer mit diesem Wörtchen „ denn“. „Denn die Schuld des Volkes ist vergeben“. Die Begründung dieser Verheißung will mir nicht in den Kopf.Dass es nun keine Krankheit mehr gibt, weil die Schuld des Volkes vergeben ist, das kann ich so nicht einfach in mein Leben übertragen. Das würde heißen, dass Krankheit eine Folge für ein gottloses Leben ist. Es will mir auch nicht in mein Herz.

Ich sehe Lukas vor mir. Lukas ist  8 Jahre alt. Er wohnt in unserem Dorf. Er kann nicht laufen. Aber er ist mobil. Ein fährt ein vierrädriges elektrisch angetriebenes kleines Kindermotorrad. Bei unsrem jährlichen Motorradgottesdienst ist er immer dabei. Er besucht den Kindergottesdienst und hat beim Krippenspiel eine Rolle. Hat er gesündigt oder seine Eltern, dass er nicht laufen kann? Das wäre ein Tun – Ergehen-Zusammenhang. Dem kranken Menschen wird sein körperliches Leiden als selbstverschuldete Folge seiner Sünde zugerechnet.

Einige hundert Jahre nach Jesaja hat sich Jesus ausdrücklich gegen eine solche Deutung ausgesprochen. Als er einem blind Geborenen begegnet, fragen ihn die Jünger: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“ und Jesus antwortet: „ Es hat weder dieser noch seine Eltern gesündigt.“ So nachzulesen im Johannesevangelium im 9. Kapitel. Also was jetzt? Es ist gut, dass wir diese Stellen im Neuen Testament haben,  in denen Jesus den Tun – Ergehen-Zusammenhang im Bereich der Krankheit durchbricht. Er sagt: So nicht.

Dann denke ich an die Eltern eines Kindes, das aufgrund einer fehlerhaften medizinischen Behandlung lebenslang behindert ist.Eine Katastrophe für die Eltern. Sie klagen sich selbst an. Sie fragen sich: „Sind wir schuld?“ Auch wenn objektiv keine Schuld vorliegt, quält sie diese Frage. Auch wenn Außenstehende die Verantwortungsfrage anders beantworten. Das eigene Gewissen kann ein unbarmherziger Richter sein.

Wie komme ich aus dieser Gewissennot raus? Da ist es überlebenswichtig zu wissen:  Jesus spricht frei. Jesus entlastet. Er will das Leben für jeden gewinnen, der von Schuld gefangen und gelähmt ist. Zu einem Gelähmten sagt Jesus im Markusevangelium: „Steh auf. Deine Sünden sind dir vergeben. Steh auf. Nimm deine Matratze und geh.“ Das sagt Jesus heute auch Ihnen und mir: „Bleib nicht liegen im Staube von Selbstanklage, Schuld und Tod. Steh auf. Ich erlöse Dich. Deine Schuld trage ich. Du bist mein. Geh mit mir. Du sollst leben. Du wirst leben mit mir.“

Autor/-in: Pfarrer Tilo Brach