04.12.2015 / Wort zum Tag

Kein Ansehen der Person vor Gott

Es ist kein Ansehen der Person vor Gott.

Römer 2,11

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Wenn ich mit anderen Menschen zusammenkomme, dann gibt es da sympathischere und weniger sympathische Typen. Es gibt Hübsche und weniger Hübsche, Angesehene und Verachtete. Manche sind mir Menschen auch gleichgültig, da brauche ich keine näheren Kontakte. Wieder andere finde ich interessant und attraktiv. Meistens kann ich nicht einmal sagen, warum das so ist. Und dann stufe ich die Menschen ein, versehe sie mit einem Plus- oder Minuszeichen.

Früher dachte ich, dass Gott es genauso macht, dass er ein Konto führt über gute und weniger gute Taten zum Beispiel. Gott, der himmlische Kontoverwalter? Dann würde am Ende ein gesichertes Urteil über jeden von uns herauskommen. Ich glaube das mittlerweile nicht mehr. Ich glaube, dass Gottes Herz so groß ist, dass er keinen fallen lassen möchte, auch wenn er sich noch so verkorkst durchs Leben schlägt. Ich könnte mir denken, dass er jedem Menschen immer wieder Zeichen und Hilfestellungen gibt, die auf seine Gnade und Freude an uns aufmerksam machen.

Früher hat man geglaubt, dass Erfolge solche Zeichen sind. Dass Wohlstand oder Zufriedenheit verdiente Geschenke sind, die Gottes Einverständnis zu unserem Tun und Lassen signalisieren. Auch das erscheint mir zweifelhaft und gar nicht logisch. Es gibt keine Verdienstmedaillen oder Pokale, mit denen   Gott unser Leben auszeichnet und mit denen er uns über andere, weniger Erfolgreiche erhebt.

„Es ist kein Ansehen der Person vor Gott“, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief.

In einem meiner Gottesdienste stand einmal ein alter etwas schmuddeliger Mann neben der Eingangstür, und ich dachte „Naja, wieder solch ein Penner, der nachher um Geld betteln wird, wenn die Kollekte gezählt ist…“

Es war ein Abendmahlsgottesdienst und der schmuddelige Mann kam auch nach vorn. Ich ahnte schon, dass viele Gottesdienstteilnehmer seine Nähe meiden würden, weil sie nicht mit ihm aus einem Kelch trinken mochten. All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Und dann reichte ich nach dem Empfang des Brotes den Kelch herum. Als der alte Mann an der Reihe war, nahm er plötzlich zärtlich meine Hand und flüsterte mir zu: „Der Herr segne sie für ihre schwere Aufgabe!“  Ich war wie vom Donner gerührt. Da sprach mir ein Mann den Segen Gottes zu, von dem ich das nie erwartet hätte. Überhaupt: Sonst war ich ja immer derjenige, der ein Segenswort beim Abendmahl sprach. Jetzt war es umgekehrt und ich war der Empfangende, gesegnet von einem alten schmuddeligen Penner.  Da waren mir meine ganzen Bedenken plötzlich unendlich peinlich.

Ich wusste mit einem mal ziemlich genau, was da gemeint war mit der Zusicherung, dass es vor Gott kein Ansehen der Person gibt. Und mir fiel noch etwas ein: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Lassen wir uns von ihm die Augen öffnen!

Autor/-in: Pfarrer Olaf Seeger