23.01.2015 / Wort zum Tag

Jesaja 64,8

"HERR, zürne nicht so sehr und gedenke nicht ewig der Sünde! Sieh doch an, dass wir alle dein Volk sind!"

Jesaja 64,8

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Christen leben von der Vergebung der Sünden, täglich und reichlich. Wir könnten keinen Atemzug tun, keinen Schritt gehen, nichts planen, keine Ziele anvisieren, wüssten wir nicht, dass Gott uns täglich immer wieder neu all unser Versagen und Versäumen vergeben würde. Wir leben einzig und allein von der Gnade; wir leben davon, dass es bei Gott immer wieder einen neuen Anfang gibt. Der ehemalige Sklavenhändler John Newton hat dieses Thema einem Lied gewidmet, dass um die Welt gegangen ist und noch heute zu den bekanntesten christlichen Liedern zählt: "O Gnade Gottes, wunderbar hast du errettet mich. Ich war verloren ganz und gar, war blind- jetzt sehe ich. Wenn wir zehntausend Jahre sind in seiner Herrlichkeit, mein Herz noch von der Gnade singt wie in der ersten Zeit“.

Das ganze Lied ist in allen Versen ein einziger Lobpreis der Gnade Gottes. Man bekommt beim Singen dieses Liedes immer wieder  eine Ahnung davon, welch eine Befreiung es für den Dichter John Newton war, von Gott gnädig und vorbehaltlos angenommen worden zu sein. Wer dies erfahren hat - und ich zähle zu diesen Christen - wird in seinem ganzen Lebensvollzug, tagaus tagein von der immer wieder neu erfahrenen Gnade Gottes geprägt. Denn es gilt für unser Christenleben ein alter Grundsatz des Glaubens: der inkonsequente Gott ist unsere einzige Chance. Denn eigentlich wäre es doch nur konsequent, dass unsere Sünden und Vergehen Folgen haben. So geht es doch auch in dieser Welt zu; das ist logisch und normal. Wenn also Gott konsequent wäre, müsste er den Sünder bestrafen, d.h. ihn die Folgen seiner Sünde durchleiden lassen.

Aber das tut Gott nicht, jedenfalls nicht in seiner Beziehung der Liebe zu uns, da ist er gänzlich inkonsequent, da vergibt er ohne Vorleistung oder Gegenleistung. In dem alten Glaubenslied von Hermann Heinrich Grafe wird das Thema dichterisch aufgegriffen: “Darf ich ( immer) wiederkommen mit der gleichen Schuld? Hast du nicht verloren endlich die Geduld? Ist denn deine Gnade also täglich neu, dass du willst vergeben, auch so oft es sei? Wahrlich, ich darf wiederkommen mit der gleichen Schuld, ich werd angenommen, du trägst in Geduld.“ Also: natürlich darf ich wiederkommen, immer wieder, jeden Tag, jede Stunde mit derselben Sünde. Gott vergibt bedingungslos, er ist zutiefst inkonsequent, jedenfalls im Vergeben und der täglichen Chance eines neuen Anfangs und Beginn.

Doch Vorsicht ist geboten. Denn es lauert die Gefahr der billigen Gnade, sie lauert an jeder Ecke. Was ist „billige Gnade“? Wenn Gott bereitwillig mir an jedem Tag vergibt, mir das sozusagen garantiert, dann könnte ich doch auch bedenkenlos sündigen, zumindest aber meinen Gewohnheitssünden nachgehen, die ja nicht so gravierend sind. Es ist ja sein Job, zu vergeben, die Bibel verheißt das doch auf Schritt und Tritt. Jeder ernsthafte Christ ist sich dieser Gefahr bewusst. Wir alle haben schon so gelebt und so gesündigt, der eine so, der andere so, jeder auf seine Weise, jeder durch seine Lieblingssünden.

Doch ist unser Gewissen durch ein Leben mit Jesus so feinfühlig geworden, dass uns solch eine Haltung der billigen Gnade traurig werden lässt. Sünde ist immer eine Beziehungsstörung zwischen dem Menschen und Gott. Aber Gott ist reich an Erbarmen - welch ein Segen für uns. Die Gnade Gottes prägt uns Menschen so sehr, dass wir auch anderen Menschen vergeben, die an uns sündigen. Das geht gar nicht anders: denn wie könnte ich hartherzig den Menschen gegenüber sein, die meine Vergebung benötigen?

Autor/-in: Pfarrer i. R. Bernd Schlottoff