30.11.2015 / Wort zum Tag

Jesaja 54,8

Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.

Jesaja 54,8

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.

Epheser 2,8

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Wenn die Katastrophe kommt, verändert sich unser Leben. Dann bebt die Erde, dann weichen die Berge, die Hügel fallen, abgrundtiefe Täler tun sich auf. Hinein in solch eine Situation der Katastrophe ist das Bibelwort für den heutigen Tag gesprochen im Buch des Propheten Jesaja Kapitel 54:

„ ‚Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen‘, spricht der HERR, dein Erlöser.“

Im Jahr 587 vor Christus werden Jerusalem und der Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Wer überlebt, wird als Sklaven nach Babylon verschleppt. Und die in der Katastrophe Gestürzten fragten den Propheten: Hat Gott uns verlassen?

Gott, wo bist du? So fragen auch wir in der Katastrophe. Manchmal dauert es -wie damals beim Propheten Jesaja- Jahre bis Gott eine Antwort gibt. Langsam reift die Antwort Gottes im Herzen, Denken und Glauben des Propheten. Aber dann kommt diese Antwort: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.“

Das katastrophale Elend des Babylonischen Exils wird in der göttlichen Nachbetrachtung verkürzt auf eine ‚kleine Weile‘. Und der göttliche Zorn reduziert auf ‚einen kleinen Augenblick‘. Uns aber kommen diese Krisen-Zeiten als unendlich und unsäglich vor.

Der große jüdische Religionslehrer Martin Buber beschreibt das mit dem Begriff ‚Gottesfinsternis‘. Und er meinte damit: Ja, Gott kommt uns in solchen Zeiten ferne, finster, unverständlich, unwirklich vor. Ja, so empfinden wir es. So erleben wir es in der Krise. Und doch ist dieses unser Empfinden nur ein Teil eines größeren Geschehens. Denn Gott will uns nicht zugrunde richten. Er will uns aufrichten. Nicht ewiger Zorn sondern ewiges Erbarmen ist das Wesen Gottes.

Mitten in die kollektive Hoffnungslosigkeit des Volkes Israel hinein sagt Jahwe seinem Volk sein Erbarmen zu. Im hebräischen Wort für Erbarmen – rachamim – schwingt die zarte emotionale Liebe einer Mutter zu ihrem Kind mit. Erbarmen, rachamim, kommt her vom hebräischen Wort Mutterschoß. Erbarmen. Liebe von Anfang an. Erbarmen. Liebe bis zuletzt.

Und im anderen hebräischen Wort für Gottes Erbarmen – chesed – wird in den nach Babylon Verschleppten eine neue Hoffnung geweckt. chesed – ein Erbarmen, in dem Gott seine unerwartete überraschende Güte und Freundlichkeit zeigt, ein Erbarmen, das in Freiheit setzt: Gott stellt sich auf die Seite der Gebeugten, auf die Seite der Schwerkranken, Hoffnungslosen, Rechtlosen, Unterdrückten oder Schuldiggewordenen. Ja, es gilt gerade in der Krise den Menschen, die sich von Gott Hilfe erhoffen, das Versprechen: „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Autor/-in: Pfarrer Roland Krause