03.01.2011 / Wort zum Tag

Jesaja 54,8

Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.

Jesaja 54,8

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Nichts ist mehr wie zuvor. Von einem Augenblick zum andern kann der Boden unter unseren Füßen ins Wanken geraten. Alles, was bisher selbstverständlich war, was wir kaum als etwas Besonderes, als Glück, als Geschenk wahrgenommen haben, kann mit einem Schlag dahin sein. Ein Sturz im Alter, ein Satz des Arztes, und alles ist in Frage gestellt. Es ist kein Ausweg zu sehen. Eine Unaufmerksamkeit, eine Lüge, eine boshafte Handlung - und das Glück ist dahin. Wie soll man damit leben? Wäre man nicht besser tot?! Und Gott? Hat er weggeguckt? Wird er noch einmal etwas von seiner Güte zeigen – vielleicht später?

Erinnerungen, Bilder, Schicksale von Menschen steigen in uns auf. Das, was Menschen in ihrer äußeren und inneren Not erfahren, scheint so viel wirklicher als die Erfahrung der Nähe Gottes. Kann Gott nicht helfen? Will er nicht? Wie oft müssen wir diese Fragen aushalten ohne auf leichtgewichtige Beruhigungen ausweichen zu können.

Manchmal gibt uns ein Mensch, dem sein Lebensplan in einem Nu zerschlagen wurde, später selber Auskunft darüber, wie es ihm gegangen ist. Wir wagen kaum daran zu rühren. Wagten nicht zu fragen: „Wie kannst du damit umgehen? Wie kannst du immer noch an Gott glauben, nach dem, was dir widerfahren ist?“

Eine Antwort von ihm könnte sein: Zunächst habe ich nur gehadert. Ich habe gedacht: Wäre ich bloß gestorben! Freunde haben mir damals eine Karte mitgebracht mit einem Vers vom Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“

Aber ich konnte sie nicht ansehen, ich habe sie in die Schublade gepackt, denn das war ja meine Enttäuschung: Gottes gute Mächte waren nicht da, als ich sie so sehr gebraucht hätte.
Aber irgendwann merkte ich, dass ich immer noch mit Gott redete. Nicht mehr nur klagte sondern eher so sprach: „Du hast mich am Leben gelassen. Dann zeig mir auch den Weg.“ Und viel später holte ich die Karte mit Worten von Dietrich Bonhöffer aus der Schublade, weil ich mich daran festhalten konnte und wollte:
„Gott ist bei mir am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Manchmal geht es uns erst im Nachhinein auf, dass Zeiten, in denen wir durch Unerträgliches durchmussten, nicht Zeiten waren, in denen wir vom Leben abgeschnitten waren.

„Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen“, heißt es in der Bibel. Und vorgesetzt vor diese Zusage steht ein Aber. Die Mitte des Verses ist also das Wörtchen: Aber.
Gott setzt es all den anderen Erfahrungen entgegen. Es kann alles ins Wanken geraten und zusammenbrechen wie ein Kartenhaus, aber Gottes Gnade, seine liebevolle Zuwendung soll nicht hinfällig werden.

Manchmal sieht es aus, als hätte Gott uns vergessen. Mit seinem Aber bricht Gott die heillose Situation auf. Er setzt schöpferisch einen neuen Anfang. Er wird helfend, behütend, stärkend bei uns sein – in allem – trotz allem. Manchmal anders, als wir erwarten.
Aber wir leben unter der Zusage, dass nichts uns von Gott trennt. Wir müssen das Unglück, das uns trifft, nicht als Strafe Gottes ansehen. Er entzieht sich nicht. Denn mitten im Dunkel ist Gott da, tröstend, wie einen seine Mutter, sein Vater tröstet. Zuletzt wirst du erkennen, dass du niemals tiefer umarmt warst als im Leid.

Gott verspricht: Ich halte dich fest; ich lasse dich nicht ins Bodenlose fallen; ich bin bei dir – auch im Dunkel. Meine liebevolle Zuwendung soll nicht von dir genommen werden.

Autor/-in: Pfarrerin Birgit Winterhoff