15.08.2015 / Wort zum Tag

Jeremia 5,3

HERR, deine Augen, sind sie nicht auf Treue gerichtet?

Jeremia 5,3

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Hi, Pat, jetzt bekommst du endlich mal aus Hamburg eine Antwort auf deine Mail. Entschuldige, dass ich dich so lange warten ließ. Wir sind hier von Sonnenaufgang bis in die Nacht am Renovieren, Reparieren und Dekorieren. Unser Schiff soll so schnell wie möglich seetüchtig für das Mittelmeer ausgerüstet sein. Deshalb war ich nach meinen Schichten immer hundemüde und habe nicht mal mehr E- Mails gelesen oder geschrieben. An diesem Projekt arbeiten Rentner wie Auszubildende, Schüler und Studenten, Amateure neben Fachleuten, Diplom-Ingenieure mit blutigen Anfängern. Das Wunder, dass wir trotz vieler Tücken voran kommen, passiert jeden Tag. Das macht Mut für die kommenden Aufgaben.

Angeregt wurde unsere private Initiative von sea-watch.org. Die waren die ersten und haben Mitte Mai einen hundert Jahre alten holländischen Kutter ins  Mittelmeer geschickt. Sea-Watch konnte auch nicht mehr mit ansehen, dass die ertrinkenden Flüchtlinge vor den Küsten als gewollte Abschreckung herhalten müssen. Sea-Watch hält sich nicht für die Lösung aller Flüchtlingsprobleme. Aber man will wenigstens ein Tropfen auf den heißen Stein des Elends sein.

Die Politik macht zwar viel Gedöns, aber gehandelt wird ganz bewusst nur mit angezogener Bremse. Und wenn man in Brüssel oder anderswo Lösungen überlegt, dann sehen sie für mich irgendwie nach militärischer Denkart aus, zum Beispiel: Bomben auf die Flotte der Schlepperbanden. Der Gordische Knoten soll so gekappt werden. - Mein Antrieb, bei dieser Folgeaktion zu Sea-Watch mitzumachen, kommt zusätzlich noch mal aus einer anderen Richtung. Ich habe im Jeremiabuch gelesen: »Herr, deine Augen, sind sie nicht auf Treue gerichtet?« Schau dir den Zusammenhang dieser Bibelstelle an. Du merkst schnell, welche Treue gemeint ist. Es geht um die Form der Beziehung zu Gott. Gott, der die Not der Armen sieht und den Schwachen auf die Beine hilft. Dieser Treue bin ich verpflichtet. Um Gottes Willen erkenne ich das Leid der Flüchtlinge.

Manche Freunde haben mir vorgehalten, dass Europa nicht stark, nicht groß genug wäre, um alle Probleme der Welt zu lösen. Darum wollen manche erst gar nicht anfangen, die  andernorts herrschende Not zu teilen. Aber es liegt doch auf der Hand, dass unser Wohlstand mit der Rolle als Ausbeuter anderer Erdteile etwas zu tun hat. Außerdem ermutigt unser Gottvertrauen dazu, die fünf Brote und zwei Fische zu geben, die wir haben. In dieser Art bewegten wir im Team alle bekannten Argumente hin und her. Ich weiß auch, dass unsere Hilfe spät erfolgt. Sie wird unvollständig bleiben und jeder gute Wille kann auch ausgenutzt werden. Aber es kommt nach unserer Erkenntnis tatsächlich auf jeden Einzelnen an: Jeder gerettete Mensch ist diesen Einsatz wert. Und jeder, der Hilfe leistet, gewinnt auch selbst etwas durch seine Tat.

Jesus Christus hat sich übrigens auch nicht in seiner Zuwendung für die Hilfsbedürftigen von guten Argumenten abhalten lassen. Er hat Menschen das Augenlicht geschenkt, die mit ihrer Sehkraft möglicherweise auch mal Unanständiges angepeilt haben. Er hat Lahmen aufgeholfen, die vielleicht früher und später falsche Wege gegangen sind. Nach biblischem Verständnis erhebt Gott seine Stimme mit den Notleidenden. Barmherzigkeit ist unsere Verpflichtung als Geschöpfe. Darum werbe ich dafür, dass Sea-Watch nicht auf ein einziges Schiff beschränkt bleiben soll. Es muss immer wieder einen Aufstand der Anständigen geben. Wir haben den Auftrag, gegen Seuchen und Hunger, gegen Krieg und Gewalt, gegen Christenverfolgung und gegen andere Verfolger etwas zu unternehmen. Darum setze ich mich ein.

Autor/-in: Pastor Alfred Mignon