08.08.2015 / Wort zum Tag

Jeremia 2,27

Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Angesicht. Aber wenn die Not über sie kommt, sprechen sie: »Auf und hilf uns!«

Jeremia 2,27

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"… die zum Holz sagen: Du bist mein Vater!, und zum Stein: Du hast mich geboren! Mir haben sie den Rücken zugekehrt und nicht das Gesicht! In der Zeit ihrer Not aber sagen sie: Mach dich doch auf und hilf uns!" (Jeremia 2,27)

Nun, die heutige Tageslosung geht uns definitiv nichts an. Niemand von uns behauptet, von einer Holzfigur geboren worden zu sein. Niemand wirft sich vor einem Ölgötzen nieder, einem Götzenbild aus Stein, das er mit Öl eingeschmiert hat.

Gott beklagt sich über das damalige Volk Israel, es habe ihm die Rückseite zugekehrt und nicht die Vorderseite. Da könnte etwas dran sein, auch für unser Volk. Aber eben: Das sind die anderen, die Entkirchlichten, die Atheisten, nicht wir Christen. Sie haben sich von Gott ab- und irgendwelchen Götzen zugewandt.

Nochmals: Die heutige Tageslosung betrifft andere, nicht uns.

Mir kommen leise Zweifel am eben Gesagten. Gibt es allenfalls bei uns so etwas wie versteckte Götzen, die uns den Zugang zum lebendigen Gott versperren? Vielleicht kennen sie das Buch „Der Klang – vom unerhörten Sinn des Lebens“ des Geigenbaumeisters Martin Schleske. Ich zitierte: „Diejenigen, die glauben, dass sie an Gott glauben, aber dies ohne Leidenschaft in ihrem Herzen tun, (…) die glauben nur an den Gottesgedanken, nicht an Gott selbst. (…) Das Wesentliche des Glaubens heisst LERNEN. Menschen, die an Jesus glauben, nennen sich heute Christen, obgleich dieser Begriff im Neuen Testament nur dreimal steht; der Begriff Jünger aber kommt über 180-mal vor. Hier wird doch ein feiner Unterschied deutlich: Der Christ definiert sich durch das, was er glaubt; er macht sein Bekenntnis zum Zentrum seiner religiösen Identität. Ein Jünger (oder Lehrling) aber bestimmt sich dadurch, wer sein Meister ist und was er durch ihn lernt. Der Glaubensweg der Jünger begann nicht damit, dass Jesus ihr Glaubensbekenntnis abfragte, sondern damit, dass er sie berief, um mit ihm zu gehen und von ihm zu lernen.“

Es dünkt mich, dass es auch unter uns Christen Götzen gibt, einfach gut versteckte. Die Mitte unseres Glaubens ist die lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Er ist der Auferstandene. Als seine Nachfolger leben wir. Wie schnell drängt sich etwas Anderes in diese Mitte! Was es auch immer ist, das diesen Platz einnimmt, es wird zum Götzen: Rechtgläubigkeit an der Stelle von gelebtem Alltagsglauben, Rechthaberei an der Stelle von Nächstenliebe, fade Gewohnheit an der Stelle von Leidenschaft.

„Ich habe dir aber vorzuwerfen, dass du deine erste Liebe verlassen hast“, hören wir den auferstandenen Jesus sagen. (Offenbarung 2,4) Wer diese Liebe verlässt, ist in grosser Gefahr, nicht mehr den lebendigen Christus in der Mitte seines Lebens zu haben, sondern z.B. seine Rechtgläubigkeit. Aus dem fröhlich-unbeschwerten Nachfolger wird ein Rechthaber.

Nun, vielleicht sagen Sie jetzt immer noch: Das betrifft mich nicht. Das würde mich freuen. Vielleicht aber sind ihre Privatgötzen auch an einem anderen, nicht offensichtlichen Ort. Das kann ich nicht für Sie entscheiden. Da müssen Sie sich selber prüfen.

Autor/-in: Pfarrer Alexander Nussbaumer