06.09.2024 / Bibel heute

Ist Umkehr möglich? (2)

Man hört ein klägliches Heulen und Weinen der Israeliten auf den Höhen, weil sie übel getan und den HERRN, ihren Gott, vergessen haben. Kehrt zurück, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam. »Siehe, wir kommen zu dir; denn du bist der HERR, unser Gott. Wahrlich, es ist ja nichts als Betrug mit den Hügeln und mit dem Lärm auf den Bergen. Wahrlich, es hat Israel keine andere Hilfe als am HERRN, unserm Gott.[...]

Jeremia 3,21 – 4,4

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Samuel war verloren. In letzter Sekunde kriegte er die Kurve. Und kehrte zurück. Das Medienmagazin Pro hat die Story von Samuel berichtet. Die Eltern wussten nicht, wo er steckte. Da ploppte eine Mail von ihm auf: "Bitte macht euch keine Sorgen um mich." Er sei unter den besten Menschen. Liebe Grüße!

Es stellte sich heraus, dass Samuel zu den IS-Kämpfern nach Syrien gereist war. Er wollte ihren Kampf unterstützen. In Dscharalabus stellte ihm der Lagerleiter die Frage, welche Aufgabe er übernehmen wolle: An die Front? Mit einem LKW in eine Menschenmenge fahren? Mit einem Sprengstoffgürtel einen Anschlag verüben? Samuel wurde es mulmig zumute. Er spürte, dass er verkehrt unterwegs war.

19. Oktober 2014, der 22. Geburtstag von Samuel: Die USA begannen, Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien zu fliegen. Samuels Eltern wurden krank vor Sorge. Sie konnten kaum noch schlafen. Zehn Wochen lange hörten sie nichts mehr von ihrem Sohn. Über Facebook schickte der Vater die dringende Bitte an Samuel, wieder nach Hause zu kommen.

Endlich ergab sich für ihn die Gelegenheit, in einem Internetcafé Nachrichten zu empfangen. Am nächsten Morgen rief er zu Hause an. Die Eltern waren so aufgeregt, dass es ihnen die Sprache verschlug. Aufgrund des Tipps einer Beraterin für solche Fälle flog der Vater in die Türkei. Nach einigen Tagen endlich die Nachricht: Samuel hat es geschafft, das Lager zu verlassen. Er sei unterwegs in den Grenzort Ganzitep. Stundenlanges Warten am Busbahnhof. Aber dann biegt tatsächlich Samuel um die Ecke. Vater und Sohn fallen sich um den Hals.

Das ist es, wonach sich der lebendige Gott sehnt. Er will seinen Söhnen und Töchtern um den Hals fallen. Den Davongelaufenen, den Abgedrifteten, den Verlorenen. "Kehrt zurück, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam": So hört sich der Umkehrruf aus dem Mund des Propheten Jeremia an.

Das muss ein Vater sein, der so ruft! Einer mit einem Herzen voller Mitleid, voller Sorge, voller Unruhe! Seine Söhne rennen in ihr Unglück. Seine Töchter geraten völlig aus der Spur. Das darf doch nicht wahr sein! Das kann er nicht einfach mit ansehen!

"Kehrt zurück, ihr, die ihr auf dem falschen Weg seid", ruft der Vater aller Menschen auch in unsere heutige Welt hinein. Das Problem, dass seine Menschenkinder Lebensziele verfolgen, durch die sie ihre Seele beschädigen und verlieren, ist dasselbe geblieben.

Damals ist es der Kult um die althergebrachten Götzenbilder auf den Höhen und Hügeln, der den Leuten den Kopf verdreht. Die Israeliten feiern nicht nur Gottesdienst im Jerusalemer Tempel. Sondern sie beugen ihre Knie auch vor dem Baalsbild. Sie bringen auch der Göttin Astarte ihre Opfer. Es geht um das günstige Wetter. Es geht um fruchtbare Herden und Familien. Vermutlich haben die landesüblichen Götter Einfluss darauf.

"Wahrlich, es ist nichts als Betrug", so fährt Gottes Botschafter namens Jeremia dazwischen. "Der schändliche Baal hat gefressen, was unsere Väter erworben hatten, ihre Schafe und Rinder." All der Aufwand ums Opfern und Spenden für Baal ist doch für die Katz! Wo es doch nur der Eine ist, der das günstige Wetter schenkt und das förderliche Klima! Wo es doch nur der Schöpfer ist, der Reichtum an Nahrungsmitteln und Kindern schafft!

Jeremia führt den alten Kampf um das 1. Gebot. Der wahre Gott beschenkt dich. Der falsche Gott frisst dich auf. Die Karriere frisst das Familienleben, der Egoismus den Frieden zuhause, die Arbeitssucht die Lebensfreude, die Abhängigkeit vom Bildschirm den freien Blick für das Gesicht neben dir und für das Angesicht des Allerhöchsten. "Kehrt zurück aus eurem Elend", ruft der lebendige Gott.

"Kehrt zurück mit echter Reue!" Jeremia spricht seinen Zuhörern ein Schuldbekenntnis vor. "Siehe, wir kommen zu dir, denn du bist der HERR, unser Gott." Der verlorene Sohn sieht ein, dass er verkehrt unterwegs war. Die verlorene Tochter dreht sich um zu dem, dem sie so unendlich viel verdankt. Die aufrichtige Rückkehr zu Gott ist erkennbar an dem aufrichtigen Eingeständnis: "Ich lag falsch. Meine Gedanken, Worte und Verhaltensweisen haben ihn verletzt." Bei Jeremia klingt das so: "Wir haben gesündigt wider den HERRN, unsern Gott, von unserer Jugend an bis auf den heutigen Tag und haben nicht gehorcht der Stimme des HERRN, unseres Gottes."

Nicht auf Gott hören, der mit seinen Zehn Geboten den guten Weg markiert; sondern auf Denksysteme hören, die die Wahrheit verschleiern; auf die vielen anderen hören, die selber Verführte sind; nur auf die eigenen Gefühle und Leidenschaften hören – da liegt das Problem!

Wir müssen um Entschuldigung bitten. Für so viel Überflüssiges und Mieses, mit dem wir andere verletzt haben; und für so viel Unehrliches und Treuloses Gott gegenüber.

Jesus spricht uns im Vaterunser das notwendige, tägliche Schuldbekenntnis vor: "Und vergib uns unsere Schuld." Nicht dass es zur Routine und zur Formel wird! Jeremia warnt vor der Umkehr, die nur geheuchelt ist. Wir brauchen den Mut, unserem Gott ehrlich zu sagen, was unser Gewissen uns sehr genau anzeigt. Das ist der Schlüssel zur Gewissheit, dass er uns aus ganzem Herzen vergibt. Wer ehrlich bekennt, spürt die Arme des Vaters, der ihm um den Hals fällt.

"Kehrt zurück, Kinder! Mit echter Reue. Zum echten Neubeginn!" Neubeginn ist nach Jeremia, wenn man das Unkraut ausreißt. Die alten, störenden Wurzeln. Und das Neue einsät, der guten Pflanze Raum verschafft.

Ich kenne einen Abiturienten. Er ist zum Glauben gekommen durch einen Schulgottesdienst. Er erzählt seiner Freundin davon. Sie kann das nicht verstehen. Sie diskutieren viel. Schließlich erklärt sie, dass sie nicht mehr seine Freundin sein will. Der Abiturient besucht einen Glaubenskurs. Er strahlt vor Freude. "Pflüget ein Neues und säet nicht unter die Dornen!" Fangt neu an! Gebt dem Leben mit Gott Raum bei euch! Ihr werdet sehen, wie befreiend und schön das ist!

Autor/-in: Pfarrer Dr. Tobias Eißler