24.11.2021 / Kommentar

Impfpflicht – ja oder nein?

Ein Kommentar von Regina König zur möglichen Impfpflicht.

Die Stimmen werden lauter, die nach einer Impfpflicht rufen – parteiübergreifend. Heute Morgen (24.11.) stellt Berlins Regierender SPD-Bürgermeister Michael Müller fest: „Wir werden um eine Impfpflicht nicht herumkommen.“ Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder sieht das genauso, auch Baden-Württembergs Ministerpräsident, der Grüne Winfried Kretschmann.

Position beziehen auch oberste Repräsentanten aus Kirche und Diakonie: Die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hat sich öffentlich für die Impfpflicht ausgesprochen und mit ihr der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. 

Der Preis des Versprechens ist hoch, sehr hoch

Doch: Ein Gesetz, das uns zur Spritze zwingt – ist das der Königsweg? Ich denke nein. Schließlich wurde uns das seit Anbeginn der Pandemie von allen in Verantwortung stehenden Politikern versprochen: Es wird keine Impfpflicht geben. An dieses Versprechen sollte sich auch die künftige Bundesregierung halten. Zu groß wäre der Vertrauensverlust und damit der gesellschaftliche Schaden, den ein Umschwenken anrichten könnte.

Klar ist allerdings auch: Der Preis dieses Versprechens ist hoch. Sehr hoch. Dieses Versprechen wird Menschenleben kosten. Sehr viele Menschenleben. So rechnet Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten vor: Wenn wir die Impflücken nicht so schnell wie möglich schließen, wird Deutschland mit weiteren 100 000 Todesopfern rechnen müssen. 200 000 Menschen wären das in Summe, die in einem Land mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt an und mit Covid-19 gestorben sind und noch sterben. Wollen wir das?

Nein zur Impfpflicht

Gibt es so viele Mutlose unter uns, die Angst haben vor Impfnebenwirkungen? Gibt es so viele Verwirrte unter uns, die sozialen Medien mehr trauen als staatlichen Institutionen? Gibt es so viele Bequeme unter uns, die die Mühe scheuen, sich einen Impftermin zu besorgen? Oder fehlen uns schlichtweg traumatische Corona-Erlebnisse wie Italien, Spanien oder Portugal sie durchlitten haben?

Müssen über unsere Bundestraßen erst Militärkonvois mit Leichnamen fahren, bevor wir aufwachen? Oder braucht es eben doch im Land der Dichter und Denker, im Land der Wissenschaft und der Ingenieurskunst tatsächlich ein brachiales Gesetz, das Bürgerinnen und Bürger zum Impfen zwingt?

Gibt es so viele Mutlose, Verwirrte und Bequeme unter uns?

Viele Jahre habe ich im europäischen Ausland gelebt und dort die Vorzüge meines eigenen Landes schätzen gelernt wie die funktionierende Verwaltung, das flächendeckende hochwertige Schulsystem, die 1A-Gesundheitsversorgung. Mit Stolz und Dankbarkeit bin ich zurückgekommen nach Deutschland. Doch zurzeit kenne ich mein eigenes Land nicht wieder: Siegen Unvernunft, Bequemlichkeit und die Angst vor einer lautstarken Minderheit?

Die Angst vor Ablehnung darf uns nicht leiten

Deutschland hätte wie Frankreich schon im Sommer einen Gesundheitspass einführen müssen, der das Leben der Ungeimpften stark einschränkt. Aber die politischen Parteien haben im Bundestagswahlkampf unpopuläre Entscheidungen vertagt. So rollt die vierte Welle über das Land. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, den Mut aufzubringen für unbequeme Positionen, auch in Kirchen und Gemeinden.

Wir müssen uns nicht stark machen für die Einführung der allgemeinen Impfpflicht, aber wir sollten als Christen offensiv für die Impfung werben. Dabei ernten wir Widerspruch, vielleicht sogar Zorn und Hass und in der Folge Kirchenaustritte. Doch die Angst vor Ablehnung darf uns nicht leiten, sondern vielmehr der Wille, Leben zu retten. Lange genug wurde in kirchlichen Kreisen Verständnis aufgebracht für Impfgegner und Skeptiker, jetzt ist an der Zeit, das Richtige zu tun und Menschen zur Impfung zu überzeugen.

Als Christen offensiv werben für die Impfung

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat einen Spitznamen: Seine Landsleute nennen ihn „der Deutsche“. Denn: Vernunft und Rationalität sind seine Markenzeichen. Hoffen wir, dass wir diesem Spitznamen wieder gerecht werden, zur Vernunft kommen und uns auf den Weg machen raus aus der Pandemie mit der Impfung gegen Covid-19 – und das aus freien Stücken, ohne Gesetzeszwang.

Und bestenfalls, so wie die Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland es ausgedrückt hat: Aus „aktiver christlicher Nächstenliebe“ heraus.

Autor/-in: Regina König

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