08.05.2024 / Persönlich
Ich liebe Kirche
Manchmal ärgert sich Horst Kretschi über seine Ortsgemeinde. Dennoch sagt er: „Die Kirche bleibt. Und ich bleibe in meiner Kirche.“
Über den Autor: Horst Kretschi ist als Redaktionskoordinator beim ERF tätig. Seit seiner Jugend engagiert er sich in seiner Heimatstadt in christlichen Gemeinden. Mehr als 20 Jahre gehört er bereits dem Kirchenvorstand der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde an.
Am Anfang stand die Faszination. Der Duft in der Nase, der Gesang im Ohr, der sakrale Raum, einfach die gesamte Atmosphäre oder das Gesamtpaket, wie man heute sagen würde. So hat mich Kirche schon früh tief im Inneren berührt.
Meine Oma hat mich oft mitgenommen zur Heiligen Messe in die katholische Kirche meiner Heimatstadt. Streng katholisch erzogen und sehr gläubig war meine Großmutter. Kirche und Glauben waren für sie sehr wichtig. In ihrem Wohnzimmer hingen die betenden Hände von Dürer, ein Foto des aktuellen Papstes, ein Kruzifix, ein Schälchen mit Weihwasser, ein Bild der Mutter Gottes, ein Rosenkranz und Zweige vom letzten Fronleichnamsumzug. Ein Stück Kirche, nur bei ihr zu Hause.
Auf der anderen Seite des Familienstrangs steht meine Urgroßmutter. Sie war meines Wissens die erste Küsterin in der Geschichte der evangelischen Kirche vor Ort. Selbst im hohen Alter hat sie von Hand die schweren Glocken geläutet. Meine Mutter hat weite Teile ihrer Kindheit bei ihrer Oma in der Kirche verbracht. Und im Pfarrhaus. Für meine Familie war der Gottesdienstbesuch zu den hohen Feiertagen eine Selbstverständlichkeit und ist für mich bis heute mit schönen Erinnerungen verbunden.
Auch hier war Kirche ein besonderer Ort. Hier war ich zu Hause. Ich merke, es fällt schwer, das zu beschreiben.
Kirche ist mehr als eine Konfession
Dieses Zuhause war aber nicht an bestimmte Räume oder Gebäude gebunden. Als Jugendlicher führte mich meine Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens in die örtliche Evangelische Stadtmission, eine landeskirchliche Gemeinschaft. Dort lernte ich den Glauben von einer neuen und intensiven Seite kennen.
Aufgrund meiner Geschichte hatte ich wenig Berührungsängste mit anderen Kirchen. Deshalb war ich bei gemeinsamen Jugendkreuzwegen aktiv und engagierte mich auch sonst gerne bei ökumenischen Veranstaltungen. An der Gründung der regionalen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in meinem Landkreis war ich dabei. Ich wusste, diese Menschen teilen mit mir einen Glauben an den einen Herrn. Kirche, das war für mich schon immer mehr als eine Konfession.
Mein Theologiestudium habe ich auch deshalb an einer Ausbildungsstätte absolviert, die keiner bestimmten Konfession oder Denomination angehört. Das habe ich sehr geschätzt. Dort habe ich weitere kirchliche, freikirchliche und weitere christliche Gemeinden kennengelernt.
Ich habe entdeckt, dass nicht eine bestimmte Kirche die gesamte Wahrheit in sich trägt. Jede Kirche ist Teil eines großen Mosaiks. Dieses Bild komplett zu überblicken, ist schwierig. Gleichzeitig brauchen viele Menschen eine Orientierung und einen Rahmen, in dem sie ihren Glauben leben können. Ich kann das gut verstehen, auch ich brauche das.
Ich bin mir aber sicher: Ich und meine Kirche sind Teil eines großen Ganzen – und nicht schon das Ganze.
Ich ärgere mich – und liebe dennoch die Kirche
Ich habe erlebt, wie wichtig Kirche für Menschen ist. Und weil sie auch für mich so wichtig ist, engagiere ich mich bis heute in meiner Kirche vor Ort. Zeitweise war ich gleichzeitig in zwei Leitungsgremien: Dem Ältestenrat der Stadtmission und im Kirchenvorstand der evangelischen Kirche. Eine spannende Zeit, die viel Kraft gekostet hat. Und manchmal, ja, manchmal ärgere ich mich über meine Kirche. Die eine wie die andere.
Dennoch bleibe ich beiden verbunden und dabei. Denn es geht mir um die Menschen, die hier leben. Sie brauchen einen Ort, zu dem sie kommen können, eine Gemeinschaft, die sie teilen können.
Dort, wo Menschen sich im Namen Jesu Christi zusammenfinden, ist, entsteht und lebt Kirche. Deshalb wird es Kirche auch immer geben.
Auch wenn zurzeit viele Menschen über den Niedergang der Kirche sprechen: Ich bin mir sicher, die Form der Kirche wird sich wandeln, aber die Kirche als Gemeinschaft an Jesus glaubender Menschen wird bleiben. Es erinnert mich an den lateinischen Ausspruch, der gerne dem Reformator Martin Luther zugeschrieben wird: „ecclesia semper reformanda est“, die Kirche muss ständig reformiert werden. Das heißt auch, dass sich die Kirche ständig verändert.
Die Kirche hat Kraft
Was aber bleibt, das ist der Grund der Kirche, Jesus Christus. Er führt Menschen in Kirchen zusammen. Er ist es, der Menschen in den Kirchen inspiriert und motiviert, der sie zur Nächstenliebe befähigt und zu Taten antreibt, die dieser Liebe entspringen.
Was mir persönlich bleibt, ist die Erinnerung daran, was mich zur Kirche gebracht hat: Es waren die Menschen, die ihren Glauben gemeinsam gefeiert haben, ohne dass ich es als Kind wusste oder verstanden hätte. Hier entfaltet Kirche eine starke Kraft, das sehe ich heute sehr deutlich. Dafür danke ich bis heute meiner Oma.
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