08.01.2020 / Zum Schwerpunktthema

Ich kann nicht glauben!

Wie ist das, wenn es einfach nicht möglich ist, an Gott zu glauben?

„Es gibt keinen Gott“. Zu der Überzeugung bin ich bereits im Grundschulalter gekommen. Gott hat auf meine Gebete nicht geantwortet und überhaupt erschien mir die Sache mit Urknall und Evolution, von der ich in meinen Büchern gelesen hatte, viel schlüssiger. Die Welt funktionierte meiner Ansicht nach hervorragend ohne übernatürliche Wesen. Also sah ich keine Notwendigkeit, an Gott zu glauben. Im Gegenteil, je älter ich wurde, desto alberner fand ich die Vorstellung von einem höheren Wesen, das Einfluss auf die Welt nimmt.

Mit der Bibel brauchte man mir gar nicht zu kommen. Schöpfung, Sündenfall, Sintflut? Lächerlich! Das waren nur Märchen, die sich die Menschen damals ausgedacht hatten, um sich den Lauf der Welt zu erklären. Was war ich froh, dass wir inzwischen dank der Wissenschaft viel bessere Erklärungen zur Verfügung hatten. Deshalb konnte ich nur den Kopf schütteln über Menschen, die ernsthaft an Gott und die „Wahrheit der Bibel“ glaubten. Ich hielt sie für versponnene Realitätsverweigerer. Niemals würde ich eine von ihnen werden! So etwas lag damals jenseits meines Vorstellungsvermögens.

Ich war eine glückliche Atheistin. Gott oder Glauben vermisste ich nicht im Geringsten. Ich hatte keinerlei Sehnsucht nach Spiritualität. Als Jugendliche verschwendete ich kaum einen Gedanken an den Tod oder ein „Danach“. Auch Themen wie Schuld und Vergebung berührten mein Denken nicht.

Man braucht keinen Gott, um ein gutes Leben zu führen oder ein guter Mensch zu sein. Das hören Christen nicht gern, aber für viele Menschen ohne Glauben ist das eine Selbstverständlichkeit. Für mich war es das auch.

Ist Gott nur eine Einbildung?

Dann passierte es: Ich wurde Christin. Entgegen allem, was ich mir vorgenommen hatte, rutschte ich in dieses Ding rein, das man „Glauben“ nennt. Ich fing an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es doch mehr gibt, als die Wissenschaft erklären kann. Dazu lernte ich, dass die Bibel wesentlich vielfältiger und hintergründiger ist, als ich geglaubt hatte. Wie es zu meinem Sinneswandel kam, ist eine eigene Geschichte.

Ich lernte, dass die Bibel wesentlich vielfältiger und hintergründiger ist, als ich geglaubt hatte.

Die Folgen dieser Entwicklung aber stürzten mich von einer Krise in die nächste. Denn als Atheistin wird man nicht „einfach so“ zur Christin. Es war ein Kampf mit Zweifel und Unglauben. Prägungen und Überzeugungen sind keine Kleidungsstücke, die man ablegt. Sie haften an uns wie unsere Haut. Anstatt sie abzuziehen, müssen wir warten, bis sie von innen heraus nachwachsen. Das kann sehr lange dauern. Und mitunter ist es ein schmerzhafter Prozess.

Mehr als ein Jahrzehnt rang ich mit der Frage „Gibt es Gott oder ist das alles nur Einbildung?“ Ich lebte nach außen hin als Christin, tat alles, was man als Christ so tut. Beten, Bibel lesen, Gottesdienste besuchen, Lobpreislieder singen, „ein guter Mensch sein“. Ich sehnte mich nach einer Gottesbegegnung, nach einem zweifelsfreien Beweis, dass es ihn gibt. Ich wollte, dass dieser ewige Spagat zwischen Glauben-wollen und Nicht-glauben-können endlich ein Ende hatte.

Aber so sehr ich mich auch anstrengte und das tat, was man mir riet, um mit Gott in Kontakt zu kommen – es passierte nichts. Gott blieb für mich nur ein riesengroßes, schmerzhaft stilles Schweigen. Immer wieder stand ich kurz davor, alles hinzuwerfen. Ich bekam das mit dem Glauben nicht hin. Meine Zweifel an der Existenz Gottes waren zu groß. Mein Unvermögen, an ihn zu glauben, ebenso.

Hilf meinem Unglauben!

Es ist aufreibend und frustrierend, Gott nicht zu erleben. Wenn ich keine Wunder sehe, keine eindeutigen Beweise seines Handelns. Ich kann nachvollziehen, warum sich so viele Menschen mit Gott schwertun. Weil das Schweigen, das auf die meisten Kontaktversuche folgt, kaum auszuhalten ist. Es erfordert sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen. Und ja, oft kann ein Mensch nicht glauben – selbst, wenn er sich bemüht. Selbst, wenn er sogar gläubig gewesen ist. Das hat nichts mit fehlendem Willen oder „Verstocktheit“ zu tun. Es ist menschliches Unvermögen. Manchmal glaubt man gegen die Wand, aber die Wand gibt nicht nach.

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24) – dieser Ausruf eines Mannes, der Jesus um die Heilung seines besessenen Sohnes bittet, ist für Menschen wie mich Programm. Ich freue mich, dass er als Losung über dem Jahr 2020 steht, weil er denjenigen eine Stimme gibt, die Schwierigkeiten haben zu glauben – und ich vermute, dass es viele sind. Immer wieder bat ich Gott mit ähnlichen Worten, mir aus meinem Unglauben herauszuhelfen.

Ja, ich wollte glauben. Ja, ich wollte Jesus vertrauen, dass seine Macht größer ist, als ich mir vorstellen konnte. Aber konnte ich es? Oft war es mir nicht möglich, so sehr ich mich auch anstrengte. Dadurch lernte ich: Glaube lässt sich nicht erzwingen.

Zweifeln ist ehrlich

Oft ärgere ich mich über Mitchristen, die den Glauben als einfachste Sache der Welt darstellen. Dass man sich nur drauf „einlassen“ müsse. Auf manche Menschen mag das zutreffen. Für viele aber ist das alles andere als einfach. Wer ein materielles Weltbild gewöhnt ist, tut sich schwer damit, sein Leben einer unsichtbaren Macht anzuvertrauen.

Es ist ein Wagnis, das nicht automatisch und sofort belohnt wird. In meinem Fall hat es viele Jahre gedauert, bis in mir die Überzeugung wachsen konnte, dass es Gott gibt und ich nicht nur sehnsüchtigem Wunschdenken ohne realem Fundament nachhing. Ich musste etliche Male mit dem Kopf gegen die Wand rennen, bis endlich ein Loch darin klaffte (in der Wand, nicht im Kopf) und ich eine Ahnung davon bekam, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als rational erklärbar ist.

Wer am Glauben zweifelt oder gar nicht glauben kann, tut das in der Regel nicht leichtfertig. Vielmehr beweist er Mut und Ehrlichkeit. Es wäre mitunter leichter, Zweifel zu verdrängen und „seine Ruhe“ zu haben. Aber was wäre das für ein Glaube? Heute bin ich überzeugt, dass Gott unsere Ehrlichkeit mehr schätzt als blinden Gehorsam. Wer aufrichtig an ihm zweifelt und sein Unvermögen zu glauben eingesteht, ist ihm vielleicht sogar näher als derjenige, der seine Zweifel wegsperrt, weil sie sich scheinbar nicht gehören. Weil er in der Bibel gelesen oder von anderen eingeredet bekommen hat, dass Zweifel etwas Schlechtes seien.

Wer am Glauben zweifelt oder gar nicht glauben kann, tut das in der Regel nicht leichtfertig. Vielmehr beweist er Mut und Ehrlichkeit.

Zweifel ist weder gut noch schlecht. Zweifel ist das Fragen nach Wahrheit. Der Zweifel fragt, ob die Information, die ich habe, vertrauenswürdig ist. Ich vertraue lieber einem Gott, der sich mir direkt offenbart, als einem, den ich nur vom Hörensagen kenne. So lange ich Gott nicht selbst erlebe, kann ich ihm nicht vertrauen. Ich selbst bin aber nicht in der Lage, eine Beziehung zu Gott aufzunehmen und aufrecht zu erhalten. Gott muss meinen Beziehungswunsch erwidern. Tut er das nicht – wie soll ich ihm vertrauen? Diese Frage ist für mich so lange unbeantwortet geblieben, bis Gott nach vielen Jahren sein Schweigen gebrochen hat.

Zweifel ist das Fragen nach Wahrheit. Der Zweifel fragt, ob die Information, die ich habe, vertrauenswürdig ist. Ich vertraue lieber einem Gott, der sich mir direkt offenbart, als einem, den ich nur vom Hörensagen kenne.

Glaube lässt sich nicht erzwingen

Mittlerweile ahne ich, warum Gott mich so lange hat schmoren lassen. Es waren unbequeme Jahre, in denen ich voller Neid auf meine Mitchristen schielte, die am laufenden Band tolle Dinge mit ihm zu erleben schienen, während ich auf dem Trockenen saß und trotzdem Schwimmbewegungen machte (beten, Bibellesen usw.). Gott hat seinen eigenen Zeitplan, wie, wo und wann er uns begegnet. Ich hatte all die Jahre genügend Gelegenheit, meine Zweifel zu durchdenken und mich mit den Widerständen meines Unglaubens zu beschäftigen. Das war keine verschwendete Zeit. Rückblickend kommt sie mir sogar sehr nützlich vor. Hätte ich all diesen Zweifeln und Vorbehalten keinen Raum gegeben, hätte ich heute nicht den Glauben, der mir letztlich geschenkt wurde.

Ich möchte jeden Zweifler ermutigen, weiter zu zweifeln, weiter zu fragen: „Ist das wahr? Kann ich dieser Information vertrauen?“. Diese Fragen sind niemals falsch. Gott ist nicht beleidigt, wenn wir nach Wahrheit suchen, weil die Suche nach Wahrheit der Weg zu ihm ist. Gott sieht jeden aufrichtig Zweifelnden wohlwollend an. Vielleicht wie Eltern, die ihr Kind dabei beobachten, wie es mit großer Mühe an einem schwierigen Rätsel herumtüftelt. Sie greifen so lange nicht ein, wie sie sicher sind, dass das Kind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Gott respektiert unseren Intellekt, unsere Fragen, unser Durchdringen-wollen. Sehr wahrscheinlich schätzt er es sogar, wenn wir unsere Gedankenkraft nutzen, um ihn, den Geheimnisvollen, irgendwie verstehen zu können. Was uns, nebenbei erwähnt, natürlich nie gelingen wird.

Gott sieht jeden aufrichtig Zweifelnden wohlwollend an. Vielleicht wie Eltern, die ihr Kind dabei beobachten, wie es mit großer Mühe an einem schwierigen Rätsel herumtüftelt.

Ich möchte aber auch alle überzeugten Christen, die mit Zweiflern zu tun haben, um Geduld bitten. Es hat überhaupt keinen Sinn, jemanden vom Glauben überzeugen zu wollen. Wahre Überzeugung kann nur aus einem selbst heraus kommen. Deshalb ist jegliches Drängen oder gar Überreden nicht hilfreich. Auch viele gut gemeinte Ratschläge, wie Glaube „besser“ funktionieren kann, laufen meist ins Leere. Zweifler brauchen Zeit, offene Ohren und Annahme. Sie wollen und müssen ausgehalten werden. Mitunter kann es sehr lange dauern, bis „etwas passiert“. Manchmal ein ganzes Leben lang. Das ist in Ordnung. Wie jedes Betonfundament braucht auch Glaube seine Zeit, bis er belastbar ist. Also, Geduld!

Zweifler brauchen Zeit, offene Ohren und Annahme. Sie wollen und müssen ausgehalten werden.


Hinweis:
Mehr über ihre Glaubenszweifel und den Sinneswandel schreibt Katrin Faludi in ihrem Buch: „Ohne meinen Zweifel glaub ich gar nichts“. Meine Reise zu einem tieferen und befreiten Glauben. Es ist im Verlag Gerth Medien erschienen.

Autor/-in: Katrin Faludi

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