20.11.2020 / Bericht

„Ich bin nicht das Monster, zu dem ich gemacht worden bin.“

Prozessbeginn: Bremer Pastor Olaf Latzel droht Geldstrafe wegen Volksverhetzung.

Dein Browser unterstützt kein HTML5 Audio.


Cosima Freter, Pressesprecherin des Amtsgerichts Bremen, zur Anklage

Stört dieser Mann den öffentlichen Frieden? Die Staatanwaltschaft Bremen ist der Meinung: Ja, und hat deshalb Anklage erhoben gegen Pastor Olaf Latzel. „Volksverhetzung“ wird ihm zur Last gelegt, am Freitag, den 20.11., startete der Prozess. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch, die Staatsanwaltschaft fordert eine Geldstrafe. Regina König war dabei.
 

Ernst betritt Olaf Latzel den Gerichtssaal, mitgenommen sieht er aus, blass. Schließlich wiegen die Vorwürfe schwer: „Zum Hass gegen Menschen“ soll er aufgestachelt haben, so die Anklage. Der Tatort: ein Eheseminar, das der Pastor vor gut einem Jahr in der evangelischen St. Martini-Gemeinde in Bremen gehalten hat.

Als „volksverhetzend“ stuft die Staatsanwaltschaft einige von Latzels Äußerungen ein, da der Angeschuldigte in diesem Seminar „generalisierend“ Homosexuelle als Verbrecher und als „Genderdreck“ bezeichnet habe. Damit störte er den öffentlichen Frieden, so die Argumentation der Anklage.

Ein evangelischer Pfarrer steht wegen Volksverhetzung in der Bundesrepublik Deutschland vor Gericht – das ist wohl als historisch zu bezeichnen. Das Medieninteresse, dementsprechend groß: fast 40 Journalisten aus ganz Deutschland haben sich akkreditiert. Und die Strafverteidigung spitzt zu: dies sei „ein politisches Verfahren“. Letztendlich ginge es darum, Olaf Latzel als Pastor aus der Bremischen Kirche zu entfernen, so Pflichtverteidiger Sascha Böttner.

„Das ist ein politisches Verfahren“

Dein Browser unterstützt kein HTML5 Audio.


Umfrage zum Prozess gegen Olaf Latzel

Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen und dem großen öffentlichen Interesse ist die Verhandlung in das Bremer Konzerthaus „Die Glocke“ verlegt worden. Trotzdem: für Gäste stehen nur 25 Plätze zur Verfügung. Drei Stunden vor offiziellem Prozessbeginn, ab 6h morgens, warten die Ersten auf Einlass, darunter auch Mitglieder der St.-Martini-Gemeinde wie Kirchenvorstandsvorsitzender Dr. Jürgen Fischer: „Die St. Martini-Gemeinde steht zu 100% hinter ihrem Pastor“. Aus Respekt vor dem Gericht will sich Fischer weiter nicht zum laufenden Verfahren äußern. Anhänger und Kritiker des Pastors – gemeinsam frieren sie an diesem Morgen dem Prozess entgegen.

Was ist nun dran an den Vorwürfen gegen den Bremer Pastor? Zur Beweisführung wird im Sitzungssaal die Audioaufnahme des Eheseminars abgespielt. Richterin, Staatsanwälte, Strafverteidiger, Presse und Publikum hören 1 ½ Stunden zu, wie Olaf Latzel Tipps gibt zur Eheführung. Es geht um gemeinsames Gebet und Bibellesen und wie wichtig es sei, gemeinsam Zeit zu verbringen und sich gegenseitig zu dienen. In seinem kulturhistorischen Abriss zur Institution „Ehe“ fallen dann die Kommentare, wegen derer Olaf Latzel heute vor Gericht steht:

In ihrer Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft dem Bremer Pastor vor, in diesem Seminar „zum Hass gegen Menschen als Teil der Bevölkerung“ aufgestachelt zu haben „in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung“. Zugleich liege ein „Angriff auf die Menschenwürde dieser Gruppierungen“ vor. Indem er die Audioaufnahme online stellen ließ, sei er sich der Tragweite bewusst gewesen, da die Nutzerzahlen seines YouTube Kanals sehr hoch seien.

Homosexuelle – diffamiert als Verbrecher und Genderdreck?

Gehalten hat Latzel das Eheseminar im Oktober 2019, ein halbes Jahr später wird es von einem Mitarbeiter online gestellt, mit Einverständnis des Pastors. „Ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genau gewusst, was ich alles gesagt habe,“ so Latzel vor Gericht. Nachdem Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet worden sei, habe er die Aufnahme aus dem Netz genommen, denn „ich möchte keine Menschen verletzen“, so der Pastor. Die Staatsanwaltschaft wertet diese Aussage als „reine Schutzbehauptung“ und bezichtigt damit, so Latzels Strafverteidiger, den Pastor der Lüge.

Gelten lässt die Staatsanwaltschaft auch nicht die Einlassung des Angeklagten, er habe mit „den Verbrechern vom Christopher-Street-Day“ nur diejenigen gemeint, die seit mehreren Jahren die St.-Martini-Gemeinde provozieren: mit Vandalismus, Schmierereien, Aktionen und Morddrohungen.

In einer öffentlichen Erklärung hatte Latzel sich schon im April entschuldigt:

Wenn ...der Eindruck entstanden sein sollte, dass ich generell alle Homosexuellen für Verbrecher hielte, so will ich mich dafür entschuldigen und klarstellen, dass dieses selbstverständlich nicht meine Meinung ist.

Ausführlich befragt der Strafverteidiger seinen Mandanten; es geht um den Unterschied zwischen dem Sünder und der Sünde, es geht um die Barmer Theologische Erklärung und um die Bibel und ihre Sicht auf gelebte Homosexualität. Und wem müssen Christen mehr gehorchen, Gott oder dem Staat? Theologische Diskussionen vor einem weltlichen Gericht – Staatsanwältin Marlene Wieland tippt währenddessen auf ihrem Handy herum. Fragen an den Angeklagten stellt sie nicht an diesem Prozesstag.

In ihrem Plädoyer wirft sie Olaf Latzel vor, Stimmungsmache gegen Homosexuelle zu betreiben und er rufe andere dazu auf, diese Personen zu schikanieren. Seine Äußerungen seien weder von der Meinungs- noch von der Religionsfreiheit gedeckt.

„Es wird der Tag kommen, an dem entschieden wird, ob bibeltreue Verkündigung in unserem Land verboten wird oder nicht“

Olaf Latzel (rechts im Bild) mit Pflichtverteidiger (Foto: Regina König / ERF Medien)

Die Verteidigung hingegen sieht in keiner Weise den Vorwurf der Volksverhetzung bestätigt. Der Pastor habe im Wortlaut an keiner Stelle des Eheseminars Homosexuelle grundsätzlich angegriffen oder diffamiert. Latzel betonte, er verurteile gelebte Homosexualität, die nach biblischem Maßstab Sünde sei, aber nicht den Sünder selbst. Und Sünder seien alle Menschen, restlos alle.

Die Verteidigung sieht alle Aussagen des Pastors durch das Recht auf Religionsfreiheit gedeckt. „Olaf Latzel nimmt die Bibel wörtlich, das blendet die Staatsanwaltschaft aus,“ so der Strafverteidiger. Und weiter: „Es wird der Tag kommen, an dem entschieden wird, ob bibeltreue Verkündigung in unserem Land verboten wird oder nicht,“ so die Verteidigung.

Schon 2015 wurde Olaf Latzel angezeigt wegen Volksverhetzung, damals erhob die Staatsanwaltschaft allerdings keine Anklage. Jetzt fordert die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch.

Am Mittwochmorgen wird das Bremer Amtsgericht das Urteil verkünden.

Zuletzt bekam noch einmal der Angeklagte das Wort:

Ich bin nicht das Monster, zu dem ich hier gemacht worden bin. Homosexuelle sind meine Nächsten. Das, was mir vorgeworfen wird, davon stehe ich ganz weit weg. Ich will Gott die Ehre geben!

Autor/-in: Regina König

Das könnte Sie auch interessieren

06.05.2020 / Artikel

Bremer Pastor im Visier des Staatsschutzes

Olaf Latzel wird „Volksverhetzung“ zur Last gelegt, doch seine Gemeinde betont: „Wir selbst sind seit Jahren Ziel von Straftaten.“

mehr

09.07.2020 / Artikel

Religionsfreiheit in Deutschland

Warum der säkulare Staat einen offenen Raum für Religion schaffen sollte.

mehr

24.07.2020 / Artikel

Religionsfreiheit ist kein Selbstläufer

Warum sich der Beauftragte der Bundesregierung Markus Grübel für Religionsfreiheit einsetzt.

mehr

02.09.2020 / Glaube + Denken

Wie hältst Du‘s mit der Religion, Deutschland?

Religion und Öffentlichkeit als Herausforderung für eine missionarische Bewegung.

mehr

11.07.2020 / Artikel

Unis sind Orte für den Ideenwettstreit

Warum der Ausschluss religiöser Gruppen keine Neutralität garantiert.

mehr

14.07.2020 / Das Gespräch

Glaube zwischen Zeitgeist und Heiligem Geist

Wie Kirche Zeitgeistkompetenz erwerben kann.

mehr

22.01.2022 / Artikel

Mut zur Intoleranz!

Wie halten wir es mit fremden Göttern?

mehr

02.11.2020 / Das Gespräch

Ein vergessenes Menschenrecht?

Christof Sauer über Religionsfreiheit und Christenverfolgung.

mehr