25.08.2024 / Bibel heute

Hilferuf gegen Verleumder

Ein Wallfahrtslied. Ich rufe zu dem HERRN in meiner Not und er erhört mich. HERR, errette mich von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen. Was soll er dir antun, du falsche Zunge, und was dir noch geben?

Psalm 120

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Irgendwo unterwegs treffe ich einen Bekannten, und sofort kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Hallo wie geht’s Dir?“ Mein persönlicher Eindruck in solchen Situationen: 8 von 10 mal ist das nur so daher geplappert, ohne innere Anteilnahme, und es wird keine ehrliche Antwort erwartet. Man sagt das einfach so. Ein einziges Mal in meinem Leben wurde ich bei einem Einsatz in einer Gemeinde vom Gemeindeleiter gefragt: „Sag mal Jürgen, wie geht es deiner Seele?“ Das hat mich sehr bewegt. Es war „agape“, göttliche Liebe, die mir entgegenstrahlte.

Und diese Frage ist für mich ein Schwerpunkt dieses Psalms. Dieser Psalm ist ein Wallfahrtslied, d.h., die Psalmen 120-134 werden „Lieder des Aufstiegs“ genannt. Aufstieg wird auch übersetzt mit Stufen. Das meint Stufenlieder oder Lieder im höheren Chor.

Die Erklärung dazu, die am meisten vertreten wird, besagt, diese Psalmen wurden entweder von den Pilgern gesungen, als sie aus der babylonischen Gefangenschaft nach Jerusalem zogen, oder von denen, die zu den großen Festen aus allen Teilen Israels kamen und nach Jerusalem hinaufzogen, um anzubeten. Laut dem 5. Buch Mose, Kapitel 16, Vers 16 sollten alle Männer Israels in Jerusalem zusammenkommen mit Opfergaben; und zwar am Fest der ungesäuerten Brote, zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten; am Fest der Wochen, später auch Fest der Ernte genannt (3. Mose 23,15-23) und am Fest der Laubhütten, das fröhlichste und volkstümlichste Fest als Sinnbild für den Anfang und die Vollendung der Wege Gottes mit Israel und den Wüstenzug des Volkes. Soweit der geschichtliche, biblische Hintergrund.

Viele Menschen trafen dort aufeinander. Einer davon war dieser unbekannte Psalmenschreiber. In diesem Text werden zwei Dinge deutlich. Große innere Not, die er hatte, und eine wunderbare Tatsache, die er erlebte. Das ist etwas, was immer wieder vorkommt, solange es Menschen auf dieser Erde gibt.

David schrieb vier von diesen Liedern (Ps. 122, 124, 131, 133), Salomo eins (Ps.127) und zehn bleiben anonym. Wann diese Psalmen auf diese Weise zusammengestellt wurden, ist unbekannt. Jedenfalls wird in diesem Psalm deutlich, auch im Leben eines gläubigen Menschen können heftige Nöte und Anfeindungen auftreten oder auch andere Umstände, die schwer auszuhalten sind. Das erlebte offensichtlich der Beter dieses Psalms.

Seine Bitte an Gott: „Herr, errette mich.“ Andere übersetzen: „Rette meine Seele.“ Das hört sich nicht nach ein paar kleinen Problemchen an, sondern nach einer großen Not. Er hat erlebt, wie es ist, ein Fremder unter Fremden zu sein. Abgelehnt und schutzlos. Es ist schwer eine friedliche Gesinnung bei Menschen zu bewahren, die streitsüchtig sind, Lug und Trug verbreiten. Paulus ermutigt die Christen Jahrhunderte später: „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ (Rö.12,18)

Und wenn es nicht möglich ist? Dann bleibt nur eins, sich an den Herrn, an Jesus Christus, zu wenden, ihm diese Menschen und Situation zu überlassen. In Jesu Frieden bleiben, für sie zu beten und neue Kraft zu bekommen. Gott wird sich dann seinem Willen gemäß darum kümmern und einen solchen Ausgang schaffen, wie es uns, auch als Christen, nicht möglich ist.

Der Apostel Paulus hat das auch erlebt. Er schildert eine dramatische Lebenssituation ganz offen: „Denn wir wollen euch, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über unsere Bedrängnis, die uns in der Provinz Asia widerfahren ist, dass wir übermäßig schwer zu tragen hatten, über unser Vermögen hinaus, so dass wir selbst am Leben verzweifelten, ja wir hatten in uns selbst schon das Todesurteil, damit wir nicht auf uns selbst vertrauten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt.“ (2.Kor.1,8-9)
Paulus erlebte wahrscheinlich etwas, was ein Mensch normalerweise nicht überlebt. Es gibt solche Tiefpunkte, auch im Leben von Menschen, die an Jesus glauben, ihn lieben und für ihn leben. Auch wenn sie nichts dazu beigetragen haben. Und selbst dann, wenn es scheinbar ausweglos ist und kein Weiterleben mehr möglich, der Herr ist da. Seine Möglichkeiten sind anders. Paulus bezeugte, dass der Herr sie aus großer Todesgefahr gerettet hat. Sein Glaube wurde neu gestärkt.

Das gilt auch für den Psalmbeter. Er vergleicht Lügen und falsche Anklagen mit den Schmerzen und Verletzungen, die im Kampf von Pfeilen zugefügt werden, und andererseits mit dem Schmerz durch Verbrennungen mit Holzkohle aus Ginsterholz. Eine bildhafte Darstellung der seelischen Qualen, die ihm andere Menschen zufügten. Lange Zeit lebte er unter Heiden, Menschen, die nicht an Gott glaubten, in zwei unterschiedlichen, weit entfernten Gegenden. Die Menschen in Meschech werden als rohe und herzlose Leute zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer beschrieben. Die Beduinen in Kedar, in der syrisch-arabischen Wüste, galten als streitsüchtig.

Beide Völker wurden zu Sinnbildern für Heiden und Barbaren. Kein Wunder, dass diese Menschen seinen Wunsch nach Frieden nicht teilten, zumal sie religiös und kulturell ganz anders geprägt waren. Warum und wieso dieser Mann so lange in diesen fremden Gegenden gelebt und dann diese Probleme erlebt hat, die er beschreibt, ist unbekannt.

Eins fällt beim Lesen dieses Textes auf. Als Fremder ohne Freunde, ohne Hilfe, verleumdet, verachtet, abgelehnt, vielleicht sogar gehasst, hat er den größten Beistand, den ein Mensch haben kann. Den lebendigen Gott. Die gottlose Atmosphäre, die ihn umgab, in der er lebte, hat ihn nicht von Gott abgebracht. Er glaubte an ihn. Er wandte sich an ihn. Sicher hatte er durch diese Umstände innere Tiefpunkte erlitten, fühlte sich am Ende seiner Lebenskraft. Aber er rief zum Herrn in seiner Not, die er rückblickend schildert.

Direkt aus dem Hebräischen übersetzt, steht in Vers 2: „Errette meine Seele.“ Und in Vers 6: „So lang gewohnt hat meine Seele bei Friedenshassern.“ Diese Ausdrucksweise zeigt, es geht nicht um ein gefühlsmäßiges Empfinden, sondern um den ganzen kompletten Menschen. Er konnte nicht mehr und tat das, wozu Gott jeden Menschen einlädt, der Hilfe braucht: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ (Ps.50,15)

Danach erlebte der Beter ein Wunder. Gott brachte ihn irgendwie aus der gottlosen Atmosphäre zurück nach Jerusalem. Dieser Psalm wurde das erste Wallfahrtslied von den Stufenliedern für die Festbesucher, die zum hochgelegenen Jerusalem hinaufziehen oder im Tempelgebiet die Stufen zum Altar hinaufsteigen. Was sagt mir dieser Text? Bin ich mit dem Herrn, meinem Erlöser Jesus Christus, in jeder Situation verbunden? Jetzt ist Jesus immer bei mir. Nach diesem Leben bin ich für immer bei ihm.

Autor/-in: Jürgen Baum