12.11.2015 / Wort zum Tag

Hesekiel 34,2

"Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?"

Hesekiel 34,2

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Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?

So fängt eine kräftige Rede an. Im Prophetenbuch Hesekiel, Kapitel 34, steht sie. Deutliche Worte, ursprünglich an politisch und geistlich Verantwort­liche in Israel gerichtet, knapp 600 Jahre vor Christus. "Wehe den Hirten, die sich selbst weiden!"

An wen denken Sie, wenn Sie das hören? An die Hirten in der Kirche? An Pastoren, Pfarrer, Bischöfe? Gott lässt im Hesekiel-Buch den Leitfiguren damals ausrichten: „Ihr nehmt euren Hirtenauftrag nicht ernst. Ihr lasst das Volk in die Irre gehen.“

Was würden Sie Ihrem Pastor, Ihrer Pfarrerin oder einer Kirchenleitung heute sagen wollen? Wobei wir jetzt den Horizont weiten müssen. In der Bibel sind mit Hirten nicht nur Amtsträger in der Kirche gemeint, sondern alle, die irgendwie für andere Men­schen Verant­wortung tragen. Solche, die auf andere sehen und für sie sorgen sollen. Sie haben einen Hirtenauftrag. Dazu gehören Eltern und Lehrer, Erzieherinnen und Sozialarbeiter, Verantwortliche in der Seelsorge, Beratung, Pflege. Und natürlich in der Politik.

Ihnen zeigt der Prophet: Gott ist es nicht gleichgültig, wie sie ihr Hirtenamt wahrnehmen, ob in großen oder im kleinen Lebensbereichen, in der Kirche und außerhalb.

Die Gefahr heißt: Dass Hirten sich selber weiden. Die Gefahr zieht sich durch alle Jahrhunderte, dass Leitungsverantwortliche selbst­gefällig werden. Zuerst um sich selbst besorgt, auf den eigenen Nutzen bedacht. Heißt ihre erste Motivation Pflege der eigenen Ehre? Die Bibel bringt es auf den Punkt: wenn Hirten sich selbst weiden, dann werden sie un­gerecht, fragen nicht mehr nach Gottes Geboten, lassen die Schwachen links liegen. Von Machtgier und Geldhunger getrieben wachsen Korruption und Betrügereien. Das können wir bei Hesekiel nachlesen – und Beispiele dafür in der Tageszeitung.

Und was folgt nun daraus? Bleibt es bei der Mahnrede Gottes? Endet sie in der Anklage? Nein, Gottes Rede geht weiter. Und zwar in einem ganz anderen Ton. Sie endet nicht in Vorwürfen, sondern in Hoffnung. Sie mündet in Gottes Zusage: „Ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie weiden. Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte wieder heimbringen.“

Gott selbst engagiert sich als Hirte. Er winkt nicht nur von Weitem, sondern er will selbst weiden. Er will Durstige zum frischen Wasser führen. Die nach Hilfe und Liebe Hungrigen leitet er dorthin, wo es neue Kraft gibt. Gott hat in Jesus Christus Hirtenhand und -fuß bekommen. Er, der gute Hirte, ging auf die Suche nach denen, die sich im Gestrüpp von Leid und Schuld verheddert haben. Er lässt verlorene Schafe nicht links liegen. Ihm sind Verwundete nicht egal. So will Jesus der gute Hirte sein – auch heute.

Was lernen wir daraus? Mit Wir meine ich jetzt alle, die auch irgendeinen Hirtenauftrag haben. Ich denke, wir können Dreierlei lernen:

Erstens: Prüfen wir immer wieder unsere Motivation. Geht es uns um die eigene Ehre? Weiden wir uns selber? Oder erfüllen wir unseren Weideauftrag für andere – und damit auch für Gott?

Zweitens: Wir sind nicht die Höchsten. Wir haben nicht die letzte Macht. Über uns steht der, der von sich sagt: „Ich bin der gute Hirte“. Er sagt es auch für uns. In unserer Hirtenaufgabe können und sollen wir uns von ihm weiden und leiten lassen und dabei wissen: Auch in dunklen Tälern ist er bei uns.

Drittens: Bei Jesus können wir sehen, wie man Wahrheit mit Barmherzigkeit verbinden kann. Er hat Liebe geschenkt, nicht zuerst gefordert. Diese Hirtenart kann uns prägen.

Wenn Sie gerade gedacht haben: Ich sehe für mich keinerlei Hirtenaufgabe, dann möchte ich Sie ermutigen, für die Hirten, die Sie kennen, zu beten. Das ist nötig. Und solches Beten ist dann auch schon ein wichtiger Hirtendienst.

Autor/-in: Prälat Ulrich Mack