17.08.2022 / Serviceartikel

Heißer Herbst die Lösung?

Was mit der Gasumlage auf uns zukommt und wie dagegen demonstriert werden sollte.

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Seit Montag wissen wir: Zu den erhöhten Energiepreisen kommt ab Oktober noch die sogenannte Gasumlage hinzu. Die Sonderabgabe soll Energieversorger vor der Pleite retten. Zur Kasse gebeten werden alle Gaskunden, egal, ob sie große Einkommen haben oder mit wenig Geld ohnehin schon kaum über die Runden kommen.

Ist das gerecht, und sollten die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes tatsächlich mit Demonstrationen in einem sogenannten „Heißen Herbst“ gegen „die Kälte der Regierung“ aufstehen, wie es die Partei Die Linke fordert? Regina König von der ERF Aktuell-Redaktion hat die Fakten gesammelt und eine Einschätzung vorgenommen.
 

ERF: Regina, nochmal kurz zusammengefasst, was kommt auf uns zu?

Regina König: Die staatliche Gasumlage wird ab Oktober zu Buche schlagen mit 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Obendrauf kommt nach jetzigem Stand auch noch die Mehrwertsteuer. Rechnen wir den ohnehin gestiegenen Preis für Gas mit ein, gehen Modellrechnungen davon aus, dass eine vierköpfige Familie mit Mehrkosten zwischen 1.400 und 2.500 Euro im Jahr rechnen muss. Betroffen von der Gasumlage sind etwa 30 Millionen Bundesbürger. Dass das nicht jeder stemmen kann, liegt auf der Hand.

Entlasungspläne noch unklar

ERF: Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch, um Haushalte mit geringem Einkommen zu entlasten?

Regina König: Die Bundesregierung plant ein Entlastungspaket, Konkretes ist allerdings nicht bekannt. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang schlägt vor, Wohngeld und Kindergeld zu erhöhen, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert ein „Wintergeld gegen …. explodierende Heizkosten“. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, will hingegen eine Entlastung bei Steuern und Abgaben.
 

ERF: Einige Entlastungsmaßnahmen sind allerdings auch schon auf den Weg gebracht worden.

Regina König: Daran müssen wir uns auch erinnern. Wie z.B. an den Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket in den Sommermonaten. Außerdem ist zum 1. Juli die EEG-Umlage weggefallen und im Juli gab es eine einmalige Kindergeldzahlung von 100 Euro. Einen Heizkostenzuschuss erhalten seit Mitte Juni Wohngeld- und BAföG-Empfänger und ab September bekommt jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin einmalig eine Energiepauschale von 300 Euro, die allerdings versteuert wird.

Armutsspirale befürchtet

ERF: Haben sich Verantwortliche in Kirche und Diakonie schon zur Gasumlage geäußert?

Regina König: Ja, Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa hat sich gegenüber der ZEIT dafür ausgesprochen, Strom- und Gassperren bei Wohnungsmietern mit geringem Einkommen auszusetzen, bis das Wohngeld angeglichen worden ist. Die Diakonie Deutschland setzt sich für eine Ausweitung der Bemessungsgrenzen beim Wohngeld ein, das fordert der Sozial­politische Vorstand der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, gegenüber der taz.

Einmalzahlungen nach dem Gießkannenprinzip lehnt Loheide ab, die Entlastungen müssten gezielt eingesetzt werden. Schlussendlich geht es darum, denen zu helfen, die knapp oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze für Sozialleistungen liegen wie Geringverdiener oder Ruheständler mit wenig Rente. Wenn das nicht passiert, so warnt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, entsteht eine „Armutsspirale bis hin zum Wohnungsverlust“.

Heißen Herbst schüren?

ERF: Viele prognostizieren, dass sich die soziale Lage zuspitzt, und befürchten, dass es zu einem „Heißen Herbst“ kommt, darunter auch Bundespolitiker. Die Partei Die Linke reagiert darauf, indem sie Proteste organisieren will. Auf ihrer Website ruft sie wörtlich zu einem „Heißen Herbst“ auf.

Regina König: Damit könnte sie einen Nerv treffen: nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa von Ende Juli würde fast jeder zweite Bundesbürger auf die Straße gehen gegen Preissteigerung und Inflation, wenn Demonstrationen organisiert werden. Vor allem Wähler der FDP, der Linken und der AfD halten Demonstrationen für notwendig. Das ist in einer Demokratie auch das verbriefte Recht aller Bürgerinnen und Bürger.

Dass allerdings gerade die Linke vom „Heißen Herbst“ redet, empfinde ich als Anmaßung. Der „Heiße Herbst“ fand 1989 statt, als Menschen in der DDR ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um gegen das SED-Unrechts-Regime zu protestieren - und die heutige Linke ist die Nachfolge-organisation dieser SED. Zudem wird auch das Jahr 1977 als „Heißer Herbst“ bezeichnet, in dem in der westdeutschen Bundesrepublik der blutige Terror der linksradikalen RAF ihren Höhepunkt erreichte. 

Keine Frage: Die Lage, auf die wir uns zubewegen, ist ernst. Dabei liegt es allerdings auch an uns, ob wir gerade als Christinnen und Christen zu einer Eskalation beitragen, oder auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen und ihn fördern bei aller berechtigten Kritik, die natürlich deutlich geäußert werden muss.      
 

ERF: Vielen Dank für die Informationen und deine Einschätzung.
 

Autor/-in: Regina König

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