10.03.2010 / Wort zum Tag

Hebräer 10,24-25

Lasst uns darauf bedacht sein, dass wir einander anspornen zur Liebe und zu guten Taten: Wir wollen die Versammlung der Gemeinde nicht verlassen.

Hebräer 10,24-25

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Vor einigen Jahren war er noch ein engagierter Mitarbeiter in der Gemeinde. In dieser Gemeinde hatte er so etwas wie ein geistliches Zuhause gefunden. Seit mehr als zwanzig Jahren gehörte er zu ihrem Freundeskreis – und leitete dort auch den Gemischten Chor. Vor einiger Zeit starb seine Frau, die er über mehrere Jahre hingebungsvoll betreut und gepflegt hatte. Das Alleinsein und die Einsamkeit wurden für ihn immer notvoller. Umso größer war sein „Glück“, als er bei einer Mitchristin der Gemeinde eine neue Bekanntschaft und menschliche Nähe fand. Sie war ebenfalls verwitwet – und weil sich beide mochten, zogen sie zusammen, um einander für ihren Lebensalltag Hilfe und Halt zu sein.

Sie haben daraus kein Geheimnis gemacht. Offen und ehrlich haben sie ihre Haus- und Lebensgemeinschaft in der Gemeinde bekannt gemacht. Doch es gab nur wenige, die sich mit diesem älteren Paar freuten, beide bereits in einem Lebensalter von über 78 Jahren. Für viele war diese sogenannte „Rentner-Ehe“ schlichtweg Unzucht, ein geradezu unerträglicher Skandal. Und diese Leute sorgten dafür, dass er deshalb aus der Chorgemeinschaft rausgeekelt wurde und beide immer mehr aus der Gemeinde gemobbt wurden. Statt ihnen konstruktiv und sensibel in Liebe zu begegnen, wurde über sie hochmütig der Stab gebrochen, weil sie nicht standesamtlich verheiratet waren. Das wäre man dem Ansehen der Gemeinde schuldig meinten jene, die sich als „Wächter“ der reinen Lehre verstanden. Einfühlsame Seelsorge in Liebe und Barmherzigkeit hatte bei ihnen keinen Platz. Die Folge: Nicht nur diese beiden älteren Menschen kehrten der Gemeinde den Rücken, sondern auch noch viele andere verließen mit ihnen diese Gemeinschaft.

Hätte man sich von der Liebe bestimmen lassen, von der geduldigen und barmherzigen Liebe Gottes, dann wäre in dieser Situation sicherlich ein anderer Weg möglich gewesen. Sagt uns doch Gottes Wort: Die Liebe ist langmütig und freundlich. Alles hofft sie, alles trägt sie. Die Liebe gibt niemals auf (1. Kor. 13). Seelsorge ist eben nur in einem Klima der Güte, Barmherzigkeit und Liebe möglich, nicht aber mit einem Vorschlaghammer der Anklage und Verurteilung. Auch und gerade dann und dort, wo sich jemand vielleicht im Irrtum befindet oder sich nach Meinung anderer „anstößig“ verhält. Wie schreibt es doch der Apostel Paulus: Wer Gott dient, soll nicht herumstreiten, sondern freundlich sein gegen jedermann, Böses mit Geduld ertragen und die Andersdenkenden mit Sanftmut zurechtweisen (2. Tim. 2,24-25).

Sicherlich: Die Gemeinde des Herrn ist von Gott berufen, in dieser Welt heilig und gerecht zur Ehre Gottes zu leben. Die Grundsätze und Maßstäbe dieser Weltzeit sind nicht der Maßstab der Gemeinde Jesu. Das steht außer Frage. Aber dabei darf man niemals aus den Augen verlieren, dass die Liebe das alles entscheidende Kriterium ist und bleibt. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts weiter als ein dröhnender Gong oder eine lärmende Pauke, schreibt der Apostel Paulus. Jedenfalls: In der Gegenwart Jesu fühlten sich die Menschen angenommen und geliebt, ohne Wenn und Aber. Sie spürten, dass er es gut mit ihnen meinte – auch wenn er ihnen keineswegs nach dem Mund redete.

Und genau das will Gott durch seine Gemeinde wirken. Durch alle, die Jesus Christus nachfolgen – und durch seine Gnade „Kinder Gottes“ geworden sind. Wenn nicht in der Gemeinde Jesu, wo denn sonst ist erfahrbar, dass der Mensch so angenommen ist, wie er ist: Mit all seiner Schuld und Verirrung, mit seinen Begrenzungen und Begabungen, mit seinen Ängsten und Hoffnungen, mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Eigenarten und „Macken“. Egal, welche soziale Stellung er hat, wie jung oder alt er ist, was er auf dem Kerbholz hat oder was für ein „schräger Typ“ er ist: So nehme sich denn einer des anderen freundlich an, wie sich auch Christus unser angenommen hat zur Ehre Gottes – beschreibt der Apostel Paulus das wohltuende Klima in einer geistlich gesunden Gemeinde.

»Einander anspornen zur Liebe und zu guten Taten!« – wenn es denn gelebt wird, hat das weitreichende Auswirkungen. Dort verheißt Gott seinen Segen. Und eine Gemeinde, die eine menschlich-warme Atmosphäre ausstrahlt, ist die beste und schönste Einladung, die es gibt, um unseren Mitmenschen Gottes Liebe ins Herz zu legen.
 

Autor/-in: Pastor i. R. Manfred Bönig