18.02.2011 / Wort zum Tag

Haggai 1,9-10

Weil m e i n Haus so wüst dasteht und ein jeder nur eilt, für s e i n Haus zu sorgen, darum hat der Himmel über euch den Tau zurückgehalten.

Haggai 1,9-10

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Vor 20 Jahren standen die Menschen nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Ost und West vor der Herausforderung, Städte und Dörfer wieder herzurichten, die über Jahrzehnte vernachlässigt worden waren.  Wenn man jetzt durch den Osten Deutschlands fährt, sieht man an vielen Stellen deutlich die Früchte dieser Bemühungen. In vielen Orten findet man auch liebevoll renovierte alte Kirchen. Mit großer Liebe und Opferbereitschaft sind auch Dorfkirchen von der Dorfbevölkerung wieder hergerichtet worden – auch Menschen, die so gut wie nie einen Gottesdienst besuchen würden, haben sich mit ihrem Geld, ihrer Arbeitskraft und Initiative an diesen wunderbaren Rettungsaktionen beteiligt. Nun stehen die Kirchen den andern Gebäuden in den Orten um nichts nach. Äußerlich gesehen liegen sie bei uns nicht wüst dar. Aber doch stehen sie oft leer – damit haben sie etwas gemeinsam mit mancher aufwändig renovierten Innenstadt, in der es nach und nach an Menschen fehlt, die dort leben, weil es an Arbeit fehlt.

Die Kirchengebäude in Ostdeutschland teilen das Schicksal ja durchaus mit vielen Kirchengebäuden in ganz Westeuropa. Nicht wüst liegen sie da, aber öde und leer ist es zuweilen sonntags morgens in ihnen. Wie passt das zusammen: einerseits engagieren sich Menschen für das Gebäude oder gegen seine Schließung – obwohl sie andererseits gar nicht teilnehmen am Leben, dass in den Gebäuden stattfindet?!

Die Liebe zu den Kirchengebäuden drückt wohl eine innere Art von Verbundenheit aus, die etwas zu tun hat mit der Sehnsucht im eigenen Leben, im eigenen Herzen. Es soll Gottesdienst stattfinden, das Göttliche soll präsent bleiben, auch wenn man selbst keinen Zugang mehr dazu findet oder finden will.

Die Leere in den Kirchen ist auch ein Spiegel für den Zustand der Seele vieler Menschen, für die Seele unserer Gesellschaft, wenn es so etwas geben sollte. Nicht nach außen sieht man das – und in einer Gesellschaft, die es so sehr gewohnt ist, auf Äußerliches zu achten, sieht man es manchmal gar nicht mehr – aber unter den schön renovierten Fassaden gähnt eine Leere, wohnt eine Sehnsucht, die zum Himmel schreit. Und Gott hört die lautlosen Schreie und sieht die Sehnsucht – selbst da, wo die einzelne Seele sich ihrer Schreie und ihrer Sehnsucht, sich ihrer Leere selbst gar nicht bewusst ist.

Ich weiß nicht, wie Gott auf Ihre Sehnsucht antwortet. Aber ich weiß, dass Gott sich danach sehnt, diese Leere in unseren Herzen mit Leben und Freude zu füllen – wie er sich nach vollen Kirchenbänken am Sonntagmorgen sehnt. Es kommt mir oft so vor, als wären wir hinter unseren schönen Fassaden gefangen – nicht in der Lage, unsere Armut zuzugeben, weil wir uns so viel Mühe geben, dass keiner sie bemerkt – auch wir selbst nicht. Und genau damit machen wir es Gott unheimlich schwer. Gott ist mir erst dann begegnet – und das immer wieder, wenn immer ich innerlich oder äußerlich zugegeben habe: Ich brauche Hilfe! Ich brauche Gott, damit er meine Seele froh macht. Ich brauche Gott, damit er mein Leben sinnvoll macht – ich brauche dich, Gott – aber ich finde dich nicht, weil ich so voll bin von meinen Aufgaben und Pflichten. Ich finde ihn nicht wegen der Fülle von Dingen, die ich besitze und der Fülle von Sorgen, die ich mir mache. Gott, ich finde dich nicht! Finde du mich! Das tut er! Lassen Sie sich finden!
 

Autor/-in: Pastorin Kerstin Offermann