12.12.2022 / Wort zum Tag

Gott zeigt sein freundliches Gesicht

Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte!

Psalm 31,17

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Neulich kam ich wie so oft am Nachmittag nach Hause, öffnete die Wohnungstür, und traf unseren großen Sohn an. Er ist fünfzehn. Und wie so oft hatte er auch noch einen Kumpel mitgebracht. Diesmal war es einer, der länger nicht mehr bei uns war. Er sah mich und fragte: „Frau Schierholz, kennen Sie mich noch?“ - Ich sagte: „Oh, hallo Felix, schön dich zu sehen!“ Und so, wie Felix mich da ansah, da merkte ich: Dieser Junge wird wahrscheinlich nicht oft freundlich angesehen und mit Namen angesprochen.

Menschen brauchen es, angeschaut zu werden, gesehen zu werden, mit Namen angesprochen zu werden. Es war von mir nur ein schlichtes Hallo, ein kleiner Willkommensgruß, zum Glück wusste ich seinen Namen noch. (In Wirklichkeit heißt er natürlich nicht Felix.) Das allein hat ihn ganz offensichtlich sehr gefreut, und ich fand es so rührend, dass er mich dazu aufgefordert hat. „Frau Schierholz, kennen Sie mich noch?“ „Na klar kenn ich dich, Felix.“ Nur diese kleine Geste der Zuwendung hat sein Gesicht strahlen lassen.

Mich erinnert diese kleine Begebenheit ein bisschen an den heutigen Losungsvers der Herrnhuter Brüdergemeine. Hier ist es ein Mensch in Not, der Gott auffordert, sich ihm zuzuwenden. Hier in Psalm 31, Vers 17, spricht er zu Gott: „Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte!“

Mit anderen Worten: Gott, zeig mir jetzt nicht die kalte Schulter. Wende dich zu mir! Schau mich an! Siehst du mich? Siehst du, dass ich in Not bin und dich brauche? Dieser Mensch möchte gesehen werden. Er möchte wissen, dass Gott ihn wahrnimmt in seiner Not, dass er sich ihm zuwendet. Zuwendung gibt. Dass Gott ihm sein leuchtendes, lächelndes Gesicht zeigt. Er selbst hat gerade bestimmt kein Lächeln im Gesicht, als er das sagt. Er hat eher Sorgenfalten im Gesicht, und er braucht es, dass jemand ihm die glättet. Wer könnte das besser als Gott selbst? Indem er dem von Sorgen geplagten Gesicht des Betenden sein freundliches, helles Gesicht zuwendet?

Ein freundliches Gesicht kann tatsächlich ein betrübtes Gesicht verwandeln. In der Hirnforschung hat man entdeckt, dass der Mensch Spiegelneuronen besitzt, die bewirken, dass sich der Gesichtsausdruck und damit auch die Stimmung einer Person auf die Person gegenüber übertragen können. Mir scheint, genau das ist zwischen mir und Felix passiert, und genau das passiert aber auch hier zwischen Gott und dem Betenden. Dieser hat aus sich heraus keine Kraft zu lächeln. Aber ein Lächeln Gottes würde reichen, um sein eigenes Gesicht wieder froh zu machen.

Und Gott lächelt. Gott zeigt dem Menschen immer wieder sein freundliches Gesicht, zeigt seine aktive Zuwendung. Am besten ist das wohl darin zu erkennen, wie Gott dann schließlich sogar als Mensch zu den Menschen gekommen ist, mit einem wirklichen Gesicht. Und in den Evangelien ist immer wieder zu lesen, wie Jesus bewusst sein Gesicht den Menschen zuwendet, und oft lächelt dieses Gesicht. Das ist es, was wir bald feiern werden zu Weihnachten: Diese Zuwendung Gottes zu den Menschen.

Unter einem Gott, der mir so ein freundliches Gesicht zeigt, kann ich mein Leben in Zuversicht führen. Ich kann jederzeit aufblicken und im Gebet fragen: „Gott, bist du da? Kennst du mich noch?“ Und Gott wird lächeln und sagen: „Na klar. Ich kenne dich doch mit Namen.“ Und vielleicht zaubert das ja auch ein Lächeln in mein Gesicht.

Autor/-in: Jutta Schierholz