14.01.2023 / Wort zum Tag

Gott verstehen?

Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten.

Psalm 139,16

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„Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten.“ So lesen wir im Psalm 139, Vers 16.

Wie klingt das für Sie? Macht Ihnen das Angst? Das hört sich doch so an, als ob alles festgelegt ist. Es kommt halt, wie es kommt. Da kann man nichts machen. Ist doch sowieso alles von vorneherein bestimmt. Manch einer bemüht da sogar ein bisschen Latein und spricht vom Fatalismus. Oder er kennt sich im Islam aus und nennt es „kismet“.

Aber das ist nicht das, was die Bibel hier sagt. An keiner Stelle spricht die Bibel davon, dass wir willenlos dem Schicksal oder Gottes vorher festgelegtem Plan folgen müssten. Denn dann würde sich ja Gebet nicht lohnen. Dann wäre alles schon längst beschlossen und würde sich ohnehin so ereignen, wie Gott das will, ob wir nun beten oder nicht.

Die Bibel kennt in der Tat beide Aussagen. Die, dass schon alle Tage meines Lebens in Gottes Buch geschrieben waren, als ich noch nicht geboren war. Und die, dass wir bitten sollen und Gott wird hören, anklopfen und er wird aufmachen. Gebet lohnt sich, denn Gott hört darauf und er erhört Gebete. Das tut übrigens der Psalmbeter in den nächsten Versen auch. Er wendet sich an Gott und bittet ihn, dass er ihm gegen seine Feinde hilft. Gott ist unwandelbar und unveränderlich und zugleich bereit, seine Meinung zu ändern und sich umstimmen zu lassen.

Das verstehen Sie nicht? Ich auch nicht. Und das ist auch gut so. Denn Gott ist so viel größer als wir. Direkt in den nächsten beiden Versen in diesem Psalm lesen wir dies, dass Gottes Gedanken so groß sind, dass wir sie nie erfassen können. Wer meint, Gott verstehen zu können, hat sich großflächig verschätzt. Wenn wir in der Bibel Aussagen über Gott lesen, die uns auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, dann sind dies letztlich die beiden Seiten einer Medaille. Und so wie ein zweidimensionales Wesen diese beiden Seiten nie als eine Einheit verstehen könnte, sind auch wir Menschen nicht in der Lage, Gottes unendliches Wesen auch nur annähernd zu erfassen.

Deshalb sollen wir auch nicht über das hinaus, was die Bibel sagt, Schlussfolgerungen ziehen. Die Aussage, dass alle unsere Tage schon in Gottes Buch geschrieben waren, als wir noch gar nicht geboren waren, soll uns trösten. Sie soll uns Mut machen. Ich muss keine Angst vor dem Morgen haben, denn Gott weiß schon, was kommt. Das tröstet, gerade auch in einer Zeit, die so voller Ungewissheit und Ängsten ist, wie unsere.

Genauso aber gilt auch das Andere: wir dürfen Gott unsere Wünsche und Anliegen, unsere Sorgen und Nöte bringen und ihn bitten, dass er handelt. Gebet bewegt den Arm Gottes. Und Gott hört gerne. Sicher, er macht nicht immer das, was wir uns wünschen. Aber er hört immer auf das, was wir ihm sagen. Und wenn er nicht eingreift und Dinge ändert, dann will er uns die Kraft geben, das durchzustehen, was wir tragen müssen. Und bei alldem dürfen wir uns sicher sein, dass unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seinen guten Händen liegt. Dass er, wie wir in demselben Psalm lesen, immer in unserer Nähe bleibt, selbst wenn wir uns am äußersten Meer oder im Totenreich befinden würden. Das gilt auch heute! Wie gut!

Autor/-in: Hans-Georg Wünch