25.05.2020 / Wort zum Tag

Gott liebt auch Morgenmuffel

HERR, frühe wollest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir wenden und aufmerken.

Psalm 5,4

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Ich gebe es ja zu: Der Morgen ist nicht meine stärkste Zeit. Ich komme frühmorgens nur schwer aus dem Bett. Meine Kinder finden es immer lustig, wenn sie sich für die Schule fertig machen und ich im Halbschlaf um sie herumtappe und für den Frühstückstisch die Butter vergesse oder die Milch fürs Müsli. Auf Gemeindefreizeiten bin ich gewöhnlich die, die bei den Morgenandachten gähnend immer wieder auf die Uhr schaut, ob es nicht bald Zeit für den ersten Kaffee ist. Die heutige Tageslosung ist also ganz sicher nicht mein Lieblingsvers. Denn es heißt in Psalm 5, Vers 4:

„Herr, frühe wollest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir wenden und aufmerken.“

Nein, früh am Morgen will ich mich eigentlich gar nicht zu Gott wenden. Ich will mich nochmal im Bett umwenden und weiterschlafen. Ich habe deswegen oft ein schlechtes Gewissen. Denn als gute Christin sollte ich doch nichts lieber tun, als zu jeder Tages- und Nachtzeit den Herrn anrufen und ihm Loblieder singen. Es gibt ja auch Zeiten, wo ich das ganz gerne tue. Aber einfach nicht gleich am frühen Morgen.

Hinter diesem schlechten Gewissen steckt aber wohl der Gedanke, dass Gott mich nur dann hört oder sieht, wenn ich mich bewusst an ihn wende, und dass er mich vielleicht auch nur dann liebt, wenn ich mich wirklich bemühe, gleich früh am Morgen als allererstes zu ihm zu beten.

Aber das kann doch alles nicht wahr sein. So ist doch Gott nicht. Hat David, der diesen Psalm geschrieben hat, diesen Satz vielleicht nicht doch ein bisschen anders gemeint? David spricht ja hier als einer, der bedrängt und vermutlich auf der Flucht vor seinen Feinden ist. In diesem Zusammenhang spricht David zu Gott, dass er sich schon in der Frühe an ihn wendet. Also dann, wenn die Welt noch still ist und wenn David allein ist. Dann, wenn es sonst niemand hören kann. Wenn David ganz bei sich ist, durch niemanden abgelenkt, aber auch ganz seinen Sorgen und Ängsten ausgeliefert. Dann wird Gott seine Stimme hören, schreibt David. Weil Gott ganz nahe bei ihm ist.

So bekommt der Vers doch etwas ungemein Tröstliches. Entscheidend ist in der Regel nicht, was ich zu welcher Uhrzeit mache. Sondern entscheidend ist, dass Gott da ist. Wo ich auch bin, rund um die Uhr ist Gott anwesend und ansprechbar. Und er hört gerne, wenn ich rufe.

Zeiten, in denen ich allein bin und mich Sorgen und Ängste bedrängen, kenne ich ja auch. Aber ich bin ja nicht wie David gerade auf der Flucht, deswegen ist meine Situation eine ganz andere. Und deswegen brauche ich auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn meine tägliche Leistungskurve morgens nur langsam ansteigt und ich erst später am Tag wirklich zum Beten aufgelegt bin. Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben, als er meinen Organismus so konstruiert hat. Das Entscheidende ist, dass Gott da ist.

Und wenn mich dann vielleicht am späten Abend, wenn alle anderen schon schlafen, plötzlich die Sorgen um den nächsten Tag oder die nächste Woche packen und ich ganz allein bin – dann wird Gott mich hören, wenn ich mich in meiner Angst an ihn wende. Dann bin ich ganz bei mir und dann ist auch Gott ganz nahe.

Autor/-in: Jutta Schierholz